„Haben Sie Geduld!“ – Auf dem Abstellgleis in die Kulturhauptstadt

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Einladend herausgeputzt: Die Europäische Kulturhauptstadt Wrocław (Breslau).

Es ist 10:39. Hinter mir liegen 21 Minuten Hochleistungssport. Auch ohne mich auch nur einen Meter vom Platz zu bewegen, bin ich schweißgebadet, mein Blut kocht. Dieser sich endlos wiederholende Satz: „Bitte haben Sie noch etwas Geduld. Wir sind gleich für Sie da!“ hat sich wie eine Mantra in mein Kopf eingebrannt. Es ist inzwischen das vierte Mal, dass ich mich mit der Bahnauskunft „duelliere“ und sie mich aufs tote Gleis stellen wollen.

Dabei will ich doch nur zwei Fahrkarten – ohne jedes Extra. In die Europäische Kulturhauptstadt Wrocław, dem frühere Breslau, soll es gehen. Das Hotel war mit nur zwei Klicks im Nu gebucht. Wie aber hin- und zurückkommen? Der tägliche Fernbus von Berlin erreicht bereits im Morgengrauen um 5 Uhr die polnische Metropole. Nein, das muss nicht sein. Kultur soll schließlich auch Spaß machen. Bahnfahren ist ohnehin entspannter – denke ich. Also rechtzeitig buchen, dann wird es auch per Zug nicht so teuer. So meine Logik.

Mein erster Anruf unter der Hotline 0180-6996633 – ich habe die Nummer inzwischen im Kopf – ergab, dass man nur bestimmte Züge von Deutschland aus buchen kann. Bei den meisten geht es nur bis zur Grenze und danach muss man sich an die polnische Bahn wenden. Auch in Fragen der Preise. Bei meinem Polnisch also zwecklos. Dann nehme ich also einen Zug, den man von hier aus buchen kann. Ich bin ja flexibel. Also wieder die Nummer gewählt. Die freundliche Stimme geht mit mir die Reise durch, wir finden einen günstigen Spartarif, und am Ende sagt sie: „Das Buchen geht online ganz einfach“ und legt auf. Also gehe ich das ganze Prozedere an meinem Rechner nochmal durch und klicke mich problemlos durch alle Seiten – bis ich kurz vor dem Ziel bei dem Satz lande: „Für den reservierungspflichtigen Zug ist leider kein Platz mehr erhältlich“. Wie??? Es sind noch drei Monate Zeit bis zu unserem geplanten Reisetermin. Und alles ist ausgebucht? Klar, Wroclaw ist jetzt in aller Kulturmunde – aber ist die Stadt wirklich so begehrt?

Ich versuche es wieder  und immer wieder. Habe ich etwas falsch gemacht, ein Häkchen übersehen? Ist wirklich alles ausgebucht? Schließlich rufe ich wieder meine Hotline an. Diesmal empfängt mich eine sächselnde Männerstimme. Sie weiß zu sagen, dass in Polen alles anders tickt. Die haben da ihr eigenes System. Man kann dorthin erst zwei Monate vorher seine Fahrkarten buchen. Bis zu seiner Kollegin, die mich vorher so nett beriet, hatte sich das offensichtlich noch nicht herumgesprochen – im Ressort Auslandsreisen!

Ich vertraue dem Sachsen! Trotz allem! Und rufe genau auf dem Tag zwei Monate vor unserem Reisebeginn an. Diesmal ist eine Frau mit Whiskeystimme am Apparat, die mich an die Staatsanwältin vom Münster-Tatort erinnert. Wir kommen gut klar. Das Problem ist die Technik! „Das System nörgelt. Was will der von mir?“ fragt sie ihren Computer. „Ah, man muss nur wissen wie!“, stellt sie schließlich selbst erleichtert nach 29 Minuten fest. Wir schaffen es tatsächlich, die Hinfahrt zu buchen. Die Rückfahrt geht leider nicht. Die Zeitrechnung in Polen ist offensichtlich eine andere. Zwei Monate sind eben nicht gleich zwei Monate – wenn eine Grenze dazwischen ist, lerne ich. Wir verabschieden uns irgendwie beide erleichtert mit ihren Worten: „Rufen Sie morgen wieder an und sagen dem Kollegen, dass Sie zu einem bestehenden Auftrag dazu buchen möchten.“ Morgen sind vielleicht auch in Polen die zwei Monate um.

Das mache ich und lande tags darauf nach nur drei Minuten bei einer mir noch unbekannten Kollegin des Deutsche-Bahn-Auslandsdienstes: Ich sage brav den Satz, den ich mir aufgeschrieben habe, um ja nichts falsch zu machen. Und die Frau mit der dünnen Stimme antwortet kurz: „Und wie ist Ihr PIN?“ PIN, wieso PIN? Es sollten mein Name und die Postleitzahl reichen – so hatte es mir Frau Wiskeystimme versprochen. Ich atme ganz ruhig, schließlich bin ich Yoga-erfahren. „Wie ist denn nun Ihr fünfstelliger Code?“, setzt die neue Auskunftsdame nach. Ich erwidere, was ihre Kollegin gesagt hat. Der Hinweis auf die rauchige Stimme bewirkt Wunder. Sie erkennt die Kollegin offensichtlich wieder und fragt bei ihr nach. Zum Glück hat  auch sie gerade Dienst. Schließlich geht es auch ohne Code, meine Visa-Nummer öffnet mir ein Türchen ins ferne Zugabteil. Dann aber lande ich wieder in der Sprechschleife: „Bitte haben Sie noch etwas Geduld. Wir sind gleich für Sie da!“. Ich schaue aus dem Schreibzimmerfenster, beobachte die Vögel, um mich abzulenken. Schließlich schaltet sich die Fispelstimme wieder dazu: „Ich weiß nicht, was die Kollegin gemacht hat. Ich verstehe das System auch nicht!“ Auch wir sprechen uns aufmunternde Worte zu. „Das klingt voll nach Chaos und Abenteuer“, sagt sie im vertrauten Ton – und weiß, dass unser Telefonat vielleicht als Qualitätskontrolle mitgeschnitten wird.

Schließlich knackt sie tatsächlich das Ungetüm von Computersystem, dem man sie ausgesetzt hat. Sie bucht die Rückfahrt dazu. Irgendwie. Und sogar Platzkarten gibt es, obwohl ihre Kollegin mit der Whiskeystimme gesagt hat, dass das erst 30 Tage vorher möglich ist. Nach Polen. Frau Fispelstimme kennt offensichtlich einen Trick, die Zeitgrenze zu sprengen. Und sie verspricht mir nach unseren gemeinsam durchlebten 21 Minuten, die Fahrkarten auf den Postweg zu bringen. Ob sie jemals ankommen?

Ihr letzter Satz: „So schnell werde ich Sie nicht vergessen.“ Ich sie auch nicht!

Wrocław – wir kommen! (he)

9 Kommentare

  1. Das Ticket kann man in jedem DB Reisezentrum, an jedem DB Automaten und sogar noch im Zug selber zum gleichen Preis kaufen. Auch ungeachtet dessen ist das Buchen per Hotline die schlechteste und teuerste Idee die man haben kann. 😀

      1. Völlig falsch! Ihre Aussage stimmt zwar in Fernverkehrszügen, jedoch nicht in Nahverkehrszügen, welche nicht in Verkehrsverbünden fahren (z.B. in Mecklenburg-Vorpommern), aus Kulanz de facto auch innerhalb von Verkehrsverbünden ohne Aufschlag. Für den Kulturzug gilt jedoch ein absolutes Sonderticket, welches es nicht auf bahn.de zu erwerben gibt, weshalb es OHNE Aufschlag im Zug verkauft wird.

        1. Hallo Marko,

          Kultursegler hat in seinem Blog-Beitrag nirgendwo einen Kulturzug erwähnt. Und er sprach ausschließlich von Fernverkehrszügen (EC). Insofern ist meine Antwort richtig. Das Problem was Kultursegler hat gibt es übrigens auch mit anderen EC-Zügen in andere Länder. Z. B. von Hamburg nach Kopenhagen.

          1. Es gibt aber außer dem nur am Wochenende fahrenden Kulturzug RE keinen einzigen Zug welcher von Berlin bis Breslau durchfährt. Vor allem keinen Fernverkehrszug. Oder welcher EC soll es sein?

  2. Wenn auch spät dran mit dem Kommentieren: Auf jeden Fall ist die Geduld der Bucherin unglaublich hoch zu schätzen! Zudem gibt es die Hoffnung: Wenn der Weg zur Fahrkarte so furchtbar beschwerlich war, dann wird die Reise sicher ganz reibungslos funktionieren, so dass das Erlebnis KULTURHAUPSTADT zur vollen Entfaltung kommt.
    Ich jedenfalls freue mich ungemein darauf.

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