In diesem Büchlein geht es um ein beklagenswert dürres Land: um die lange Zeit verschmähte Streusandbüchse Brandenburg. Heute wissen wir es besser. Dieses einstige preußische Kerngebiet hat Landschaft im Überfluss. Das erkennen lange vor den Einheimischen immer wieder die reisequirligen Berliner. Der Autor und Journalist Paul Stänner ist einer von ihnen, allerdings ein Zugezogener aus dem Münsterland. Er kehrt dem Großstadtmoloch nur allzu gern den Rücken und durchquert mit spitzer Feder und geschultem Auge das sich weit ausstreckende Seen-, Kiefern- und Feldermeer sowie die Schlösser und Burgen der Friedrichs und Wilhelms und ihrer Fußvölker. Dabei entdeckte er an 111 Orten immergrüne Kulturgewächse, die er für uns mit respektloser Herzensfrische beschreibt: So wie es sich für eine „Berliner Schnauze“ gehört.
111 Orte, die uns Geschichte erzählen: Auf ins brandenburgische Outback!
Selbst wenn man zahlreiche dieser 111 Orte schon selbst besucht hat, gibt es in seinen pointierten Kurzbeschreibungen immer noch Bonmots, die nicht jedem bekannt sein dürften. Oder wussten Sie, dass sich der in Caputh denkende Einstein nur auf das Telefon seines Nachbarn verließ? Kam ein Anruf für den Genius, blies der Nachbar mit seiner Trompete ein Signal rüber.
Der Autor führt uns weit zurück in die Vergangenheit: zum Beispiel auf die Burg Friesack, wo anno 1414 die Grete grob hinlangte. Sie sorgte dafür, dass die Mauern dieser Burg in sich zusammenfielen, wenn auch langsam. „Die faule Grete“ war eine Großkanone, die nach jedem Schuss einer 170 Kilogramm schweren Kugel gegen die Burgmauern erst stundenlang abkühlen musste, bevor nachgeladen werden durfte. Doch irgendwann war Schluss mit diesem Räubernest, auf dem sich die bösen Buben der Quitzow-Sippe verschanzt hatten. Friedrich von Nürnberg ließ Grete für sich arbeiten.
Schießplätze, Kriegsdenkmäler, Kasernen und Bunker gibt es reichlich im Brandenburgischen. Kein Wunder bei den militärliebenden Preußen. Ja und selbst im Sanatorium – den Beelitzer-Heilstätten – saß einer der größten Kriegstreiber: Adolf Hitler. Als die Lungenheilanstalt im Ersten Weltkrieg als Lazarett für Kriegsverletzte umgenutzt wurde, war der Gefreite Hitler vier Monate Patient. Auch Honecker fand dort Asyl: Anfang der 90er Jahre auf der Flucht nach Moskau und später nach Chile. Das russische Militär gab ihm Rückendeckung.
Inzwischen kann man über den von der Natur teils überwucherten Häuserkomplex wandeln und auf die Ruinen niederschauen: auf dem Beelitzer Baumkronenpfad. Den allerdings findet man noch nicht in dieser 2017 gedruckten Neuauflage des Originals von 2015. Eine Überarbeitung wäre also wünschenswert.
Aber auch so ist das Buch reich gespickt mit Anregungen, die man sich zu einem Ausflugsplan zusammenstricken kann. Auf meiner Liste steht ganz weit oben das Olympische Dorf in Elstal: „Im Schatten der Ringe“. Für das Areal in lauschiger Landschaft der Döberitzer Heide hatte man 1936 eigens einen See angelegt, für den die Wasservögel aus dem Berliner Zoo beschafft wurden. Hindenburg, nicht gerade eine Sportskanone, hatte schon vorher geplant, dieses für 3600 Athleten ausgelegte Dorf später als Infanterieschule weiter zu nutzen. Heute gibt es Führungen über das Gelände mit seinen geschichtsträchtigen Mauern. Aber nur nach Anmeldung (Tel. 033094-700565)!
Auch das Museum für einen Verschollenen, für den zähen, aber fahnenflüchtigen Preußen Ludwig Leichhardt, ist sicher einen Ausflug wert: Es erzählt über einen jungen Mann, der in Australien sein Glück versuchte und 1848 dort verscholl. In Trebatsch bei Beeskow gibt es seit 1988 ein Museum für ihn. Das ließe sich doch trefflich mit einer Fahrradtour verbinden?! Auch auf dem Leichhardt-Rundwanderweg könnte man spazieren: elf Kilometer durchs brandenburgische Outback. he
Paul Stänner: 111 Orte in Brandenburg, die uns Geschichte erzählen, Aus der 111er Reihe des Kölner Emons Verlags, 14,95 Euro
Da bekommt man doch schon allein beim Lesen Lust auf „mehr“!
Das Buch werde ich mir auf jeden Fall zulegen und beim nächsten Brandenburg-Besuch zumindest teilweise „abarbeiten“.
Herzlichen Dank sagt
eine Rheinländerin