Juli Zeh und Simon Urban schrieben über das Auseinanderdriften der Gesellschaft einen packenden Briefroman. Foto: Peter von Felbert
Liebe Theresa, lieber Stefan,
nein, es ist kein Leak, dass ich Eure Emails und Whatsapps lesen kann, ja sie geradezu verschlinge. In diesem Fall sind Juli Zeh und Simon Urban der Grund, dass Eure Post öffentlich wurde. Als Schriftsteller haben sie Euch erschaffen und Eure Briefe mit dem Titel „Zwischen Welten“ in die Welt hinausposaunt (unterstützt vom Luchterhand Verlag).
Theresa, Du bist mir inzwischen geradezu ans Herz gewachsen: mit Deiner Liebe für die Kühe, für das Landwirtschaften auf gesunden Äckern, für Deinen Mut, trotz ständiger Rückschläge weiterzumachen: auf dem ehemaligen LPG-Anwesen, das Dein Vater übernahm – und sich daran verhob. Als Dorfkind sympathisiere ich mit Deinen Gummistiefeln, mit einer guten Nachbarschaft und mit offenen Worten. Und natürlich verstehe ich Deinen Zorn, wenn all die Plackerei nichts nutzt, das nächtliche Melken, das Rumschlagen mit Anträgen und EU-Verordnungen, staubtrockene Sommer und Starkregen und obendrauf die Afrikanische Schweinepest und ein damit verbundenes Ernteverbot. Der Ruin schwebt wie ein Damoklesschwert ständig über Dir. Da kann Dich doch nur die Wut packen und der Racheengel in Dir erwachen. Keine Behörde will Dich erhören, also schließt Du Dich Aktivisten an, verpasst sogar dem Landwirtschaftsminister mit dem grünen Schlips direkt vor seiner Behörde eine schallende Ohrfeige. Du musstest Dir Luft machen, um nicht zu ersticken. Wie es so weit kommen konnte, das alles hast Du Deinem einstigen WG-Mitbewohner aus Studienzeiten, Deinem wiedergewonnenen Freund Stefan, in Euren fast täglichen Emails erzählt. Er hörte zu, tröstete Dich und widersprach: Er hielt nichts von Deinem Querdenken und von Deinem Rachefeldzug. Aber Ihr habt den Kontakt gehalten – trotz Eurer Parallelwelten, Eurer oft harschen Kritik aneinander.
Klar, Stefan, Du hattest auch Deine Probleme: in Deiner schnieken Medienwelt. So wie Theresa erlebtest auch Du einen Shitstorm, der Dich verzweifeln ließ. Und erst recht Deinen Chef Sota, der Euer renommiertes Hamburger Blatt „Der Bote“ führte. Und nur durch eine unbedachte, witzig gemeinte Bemerkung von seinem Stuhl katapultiert wurde. Menschen können in den Selbstmord getrieben werden durch die böse Macht des Internets. Kannibalismus nennt Ihr das. Eine Eurer großen Erkenntnisse, die Ihr geteilt habt, war der Satz: „Wenn öffentliche Kommunikation der Treibstoff der Polarisierung ist, wird man die fortschreitende Polarisierung nicht mit öffentlicher Kommunikation stoppen können.“ Ich musste ihn zweimal lesen, um ihn richtig zu verstehen.
Stefan, Du bist trotz allem beim Boten geblieben, der sich gendergerecht nun Bot*in nennt, und hast Dir die Begründung dafür schön geschrieben. Natürlich hatte ich wie Du gehofft, dass es zwischen Dir und Theresa noch richtig funken könnte, aber so recht daran geglaubt habe ich nicht. Auch wegen ihres Mannes und der beiden Kinder nicht. Aber vor allem, weil Ihr doch sehr unterschiedlich geerdet seid.
Ja, lieber Stefan, ich danke auch Dir für die vielen klugen Gedanken, die Du Theresa mit auf den Weg gegeben hast, auch wenn sie mir manchmal etwas steifbeinig daher kamen. Oft stand ich zwischen Euren Meinungen, fiel es mir schwer, mich zu positionieren. Aber das Wichtigste war: Ihr habt es geschafft, über geistige und emotionale Klippen zu springen. Manchmal musste ich ganz schön schlucken, was Ihr Euch zugemutet habt, Du, Theresa, die zur Jeanne d‘Arc der Querdenker*innen wurde, und Du Stefan in Deinem Redaktions-„Wintergarten“ an der Alster, vermeintlich am Puls der Zeit, der doch so schnell auch aussetzen kann.
Schade, dass es nun nach 444 Seiten zu Ende ist mit den Nachrichten aus dem Kuhstall.
Ich danke Euch und Euren Erfindern,
mit besten Grüßen, Heidi
Nachzulesen in dem Briefroman „Zwischen Welten“, erschienen im Luchterhand Verlag, 24 Euro
Am 27. April um 20 Uhr liest Juli Zeh im Waschhaus Potsdam, Schiffbauergasse 6, aus ihrem Roman. Eintritt kostet 15 Euro. Karten unter www.waschhaus.de
Liebe Heidi,
Dein Beitrag hat mich noch neugieriger auf das Buch gemacht. Juli Zeh hat ein besonderes Gespür für die Brüche und Risse in unserem sozialen Miteinander und ermutigt immer wieder, im Gespräch zu bleiben und Gemeinsames zu suchen.
Herzliche Grüße
Dirk