Vom Gehen und Bleiben. Julia Schochs Ode auf „Das Liebespaar des Jahrhunderts“

Julia Schoch schreibt über die Ernüchterung in der Liebe – und lässt sie dennoch hochleben. Foto: Bogenberger Autorenfotos

Auf diesem Seziertisch der Liebe wird das Messer mit höchster Präzision angesetzt. Die Potsdamer Schriftstellerin Julia Schoch schält mit der magischen Kraft schlichter, treffsicherer Worte Paarbeziehungen in ihren immer wiederkehrenden Verhakelungen heraus. Und wie nebenbei fängt sie nuancenreich die Atmosphäre nach dem Mauerfall ein, die genährt ist durch die eigene ostdeutsche Vergangenheit. „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ ist ein großes Gemälde, auf das wie bei den Alten Meistern viele Schichten übereinander lagern. Die farbige Fröhlichkeit des Grundtons schlägt dabei immer mehr in eine graugetönte Melancholie um und lässt doch die lichte Grundierung noch erahnen.

Der erste Satz des Buches ist eine klare Ansage: „Im Grunde ist es ganz einfach. Ich verlasse dich.“ Doch nichts ist einfach. Schon gar nicht in der Liebe. Und so geistert dieses Buch durch 30 Jahre einer Beziehung, die in einem einstigen DDR-Neubaublock mit Vanilletee begann. „Magst du Vanilletee?, hast du mich gefragt. Ich hätte jedes Getränk als mein Lieblingsgetränk bezeichnet. Hauptsache es kam von dir.“ Sie hatte sich sehr schnell für ihn aufgegeben, diese junge Frau, die wie er in einer Diktatur aufgewachsen war, dieselben Filme, dieselbe Musik, die gleiche Sehnsucht hatte. Sie ließ sich die Haare abschneiden, um auszusehen wie er. Ja und selbst in den so unterschiedlichen Familien sah sie Ähnlichkeiten. Der Vater ihres Liebsten war Künstler und kritisierte mit seiner Kunst den Staat und ihr eigener Vater war als Gegenpol Offizier, ein Staatsdiener. Als der Staat verschwand, riss es indes beiden den Boden unter den Füßen weg. Doch die Kinder dieser Väter, das Liebespaar, war jung, die Welt stand ihm offen. „Trotzdem schien es, als wollten alle meine Freunde, mich eingeschlossen, sterben. Mit großer Geste zugrunde gehen – oder wenigstens das Land verlassen. So stellten wir uns das vor. (Für die meisten Menschen in unserem Alter war es üblich, das neue große wiedervereinte Deutschland abzulehnen). Aber wahrscheinlich hatte es gar nicht mit Politik zu tun. Wir waren uns sicher, die Existenz ist ein düsterer Ort. Sie verlangte nach stummer, poetischer Revolte.“
Doch der Liebhaber der Ich-Erzählerin hielt nichts vom Unglücklichsein. Sie machten sich auf den Weg, wohnten zeitweise in Paris und Montpellier. Die Gründe fürs Sterbenwollen gingen der jungen Frau alle aus. Doch irgendwann schlich sich gallenbitter der Argwohn in die Beziehung ein. Misstrauisch achtete die junge Frau auf jedes Wort des Liebsten, aufs Zuspätkommen, auf den großen Blumenstrauß. Hatte er etwas gut zu machen? Der Gedanke an Untreue keimte boshaft auf. Und doch kommen die beiden Kinder, das Leben geht gemeinsam weiter, anders als bei vielen befreundeten Paaren, die sich längst getrennt hatten. Die Urlaube werden indes immer anstrengender, das Beschenken schwieriger, das gemeinsame Bett immer breiter.

Julia Schoch nennt ihren Roman, der das Mittelstück der Trilogie „Biographie einer Frau“ ist, autofiktional. Und so geht man mit ihr ein stückweit nicht nur durch das eigene Leben, durch die eigenen Erinnerungen zwischen Ost und West, der eigenen Paarbeziehung und dem Muttersein, sondern freut sich auch, in ihren beschriebenen Orten vermeintlich Bekanntes zu entdecken: wie das alte Kino im Hinterhof, in dem sie einst am Wochenende jobbte. Sofort sieht man das inzwischen verfallene Charlott in Potsdam-West vor sich.
Am Ende der vor Spannung knisternden 190 Seiten konstatiert die Ich-Erzählerin: „Ich wusste, dass du der einzige Mensch bist, der mir außer den Kindern ernsthaft etwas bedeutet, aber ich konnte es nicht mehr empfinden. Vielleicht ist es Zufall, aber auch die Welt draußen ist allmählich zum Stagnieren gekommen. Mir kommt es vor, als hätten wir unsere Liebesbeziehung parallel zur Geschichte des Westens gelebt. Und dessen Zukunft ist mit den Jahren immer stärker in einem Nebel verschwunden.“
Haben sich die Katastrophen, „die Atmosphäre der allmählichen Dumpfheit und Bedrohung“ bloß abgefärbt auf die Gedanken der Frau, die ihrer Liebe nicht mehr traut? Hat sie nichts mehr von ihrer Beziehung erwartet, weil sich kein Mensch mehr etwas von den sogenannten zukünftigen Zeiten verspricht?
Julia Schochs Sezieren der Liebe ist zugleich ein feinsinniges, unaufdringliches Gesellschaftsporträt. Und wie gern liest man rückblickend auf ihre 30-jährige Paargeschichte die versöhnenden Worte: „Ohne Liebe, ohne liebende Beschäftigung in dieser Welt zu sein, kam mir absurd vor.“ he

„Das Liebespaar des Jahrhunderts“, erschienen im dtv-Verlag, kostet 22 Euro.

Am Dienstag, den 21. März, um 20 Uhr liest Julia Schoch in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, aus ihrem Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“. Karten unter: Tel. 0331/2804103, Eintritt: 10/erm. 8 Euro

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