Frauenglanz und Kriegerpose. Thomas Schüttes Skulpturenaufmarsch im Kolbe-Museum ist eine Sternstunde

Es kostet Kraft, dem Impuls zu widerstehen. Die Hände gieren regelrecht danach, über die Haut der Skulpturen zu streichen. Die bis 22. Februar im Berliner Georg-Kolbe-Museum gezeigten Figuren von Thomas Schütte breiten sich aus: in Gemüt und Geist. Der 62-jährige Künstler gilt als der wichtigste und auch hochpreisigste deutsche Bildhauer. Das allerdings erfahre ich erst vor Ort: inmitten seiner wunderbar raumgreifenden 30 Plastiken.

Sie können sich hier, in dem einstigen Atelierhaus von Georg Kolbe am Rande der Stadt, bestens entfalten. Schon am Eingang wird der Besucher würdevoll-nachdenklich begrüßt: von „Vater Staat“ höchstpersönlich. Er präsentiert sich im Bademantel gewickelt geradezu menschlich, ja verletzlich. Die Arme zum Zupacken fehlen ihm. Er wirkt bei aller Größe machtlos. Doch Thomas Schütte denunziert nicht, er fordert heraus. Hintersinnig, augenzwinkernd.

Seine beiden hünenhaften Krieger im Inneren des Museums zielen mitten ins Herz. Was ist nach den großen Schlachten aus ihnen geworden? Sie stehen auf versehrten Beinen, den Speer im amputierten Arm immer noch in die Ferne gerichtet. Wann kommt der nächste Feind?

Seine Frauenköpfe sind das zärtliche Pendant dazu. Sie schimmern und strahlen in Glas, Bronze oder Stahl friedlich von ihren Stelen. Doch wenn man genau hinschaut, sieht man die leisen Tränen. Ein Hauch, nur angedeutet, doch umso eindringlicher. Um wen weinen sie? Die „Dritte Schwester“ vielleicht um sich selbst, über ihre Position in der Familie?! Schütte, der Oldenburger Meister figurativer Kunst, legt mit seinen Titeln Fährten und führt damit auch gern in die Irre. Wie mit seinem Kopf „Walser’s Wife“, den er für eine Ausstellung zum Geburtstag des Schweizer Schriftstellers Robert Walser geschaffen hat. Doch Walser hat gar keine Ehefrau. Nein, es geht Thomas Schütte nicht um reale Abbilder. Er verortet sein Werk in einer fantastischen Welt. Manchmal auch mit einem harten Schlag auf den Hinterkopf. Um Charaktere zu schaffen, zum Beispiel die Mafiosi-Typen in Italien, die er während eines Stipendium in der Villa Massimo in Rom aufs Korn nahm, treibt er es ins Quietschig-Bunte und Schräge. Seine Galerie alter Männer im Entree sind armselige Runzelköpfe mit Doppelkinn und widerlichem Grinsen. Die Fratze der Hintertriebenen.

Wie anmutig ist hingegen seine Matisse-Adaption in Rot?! Mit Blume im Haar und weich fließenden Formen ruht der Frauenkopf auf dem Körperfragment. „Es ist das Schwerste, was man machen kann, in totes Material Leben reinzukriegen. Und immer, wenn ich denke: Jetzt lebt dieser Kopf, dann mache ich auch nicht weiter. Dann höre ich auf. Im Prinzip passiert das sehr schnell“, sagte Schütte in einem Interview.

Wenn man schließlich diese großartige Ausstellung mit ihren feinnervigen und auch zupackenden Fangarmen verlässt, kann Georg Kolbes Tänzerinnenbrunnen im Garten ein guter Ort zum Sackenlassen sein. Dort dreht sich in schwebender Leichtigkeit eine grazile Frau um sich selbst. Die eigenen Gedanken bewegen sich mit: angerührt, aufgewühlt, erheitert.

Sie passen zusammen: der 1947 verstorbene Hausherr und Museumsgründer Georg Kolbe und der jetzige Gast Thomas Schütte. Eine Aufwartung dieser Herren und ihrer weiblichen Schöpfungen lohnt sich. Sehr! he

Die Ausstellung „Thomas Schütte“ ist zu sehen im Georg-Kolbe-Museum bis zum 22. Februar, Sensburger Allee 25. Es gibt auch ein Museumscafé mit einem Kuchen- und Imbissangebot – und mit Blick in den Skultpturengarten. Mehr unter https://georg-kolbe-museum.de

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