Zwischen Seerosen und Malkastenbeeten. Zu Gast in Monets Zaubergarten in Giverny

Hasso Plattners Seerosen-Sammlung ist Schuld. Seine Monet-Bilder im Museum Barberini befeuerten immer wieder meinen Wunsch, die zarten Wasserschönheiten auch mal am Originalschauplatz bestaunen zu dürfen. Zu meinem Geburtstag hielt ich nun plötzlich das unerwartete Geschenk in den Händen: eine Reise nach Giverny in den Garten des großen Lichtmalers.

Die gut 75 Kilometer lange Fahrt mit dem Auto von Paris über die Landstraße erweist sich als ein gemütliches Eintauchen in die Landschaft: Vor uns erstreckt sich eine weite Ebene wie im  Havelland, die schließlich in sanfte Hügel übergeht. In den Dörfern begrüßen uns stolze Malvenkolonnen und dichte tintenblaue Schmetterlingssträucher. Doch dann die Ernüchterung: Auf dem Parkplatz des malerischen Anwesens erstreckt sich eine riesige Blechlawine. Was solls’s?! Auf den Parkplätzen vor den heimischen Spaßbädern ist der Anblick ähnlich, und doch findet man seinen Platz im Wasser und auf der Liege. Also hinein ins Gartenvergnügen!

Überall tanzt das Licht. Selbst im Moosbett

Der Besuchersog zieht uns durch eine Unterführung sogleich hinein in den berühmten Wassergarten. Und da breiten sie sich für uns aus: die berühmten, zigfach gemalten Seerosen. „Wer diesen Garten betritt, taucht ein in die grüne Stille einer exotischen Wasserlandschaft wie in eine andere Welt“, las ich zuvor in dem Prachtfotoband „Monet: Seine Gärten – seine Kunst – sein Leben“ aus dem Prestel-Verlag. Doch das große Aha-Erlebnis bleibt aus. Die auftrumpfende Klangfülle der Teichumpflanzung lässt die Seerosen-Inseln leise zurücktreten. Auch auf der berühmten Japanischen Brücke schweift der Blick zuerst auf die satten Farben der Dahlien, Hortensien, Lilien, Clematis oder Cosmeen, die in schönster Harmonie die Seele tanzen lassen. Ein allzu langes Verweilen, um auch die sanften Klänge gebührend aufzusaugen, ist schwierig angesichts der Menschenmassen, die alle an allen Stellen einen Blick ins Zauberreich werfen und ein Foto mit nach Hause nehmen wollen. Aber Gartenfreunde sind nette Leute und jeder nimmt Rücksicht, so gut er kann. Allerdings auch mal mit langen Fingern: Knips – und schon gibt es eine Mohnkapsel weniger auf den abgeblühten Stängeln. Meine Tochter ist entsetzt. Ich hätte am liebsten auch zugegriffen, mich aber nicht getraut.

Wandeln unter schmiedeeisernen Rosenbögen

Mit der Frage, wie Monet so dicht an seine Seerosen herankam, dass er ihnen mitten ins Herz schauen konnte, schieben wir uns weiter in seinen Hausgarten mit den Bögen für die Kletterrosen. Ursprünglich wurde die Allee zum Haus von Fichten und Zypressen gesäumt, die Monet hasste, aber seiner zweiten Frau Alice als Schattenspender sehr mochte. Nach und nach ließ der Maler Bäume fällen oder die unteren Zweige der Fichten entfernen. Nun konnten die Rosen an ihnen emporsteigen. Es gibt wohl nichts in diesem Garten, was es nicht gibt: farblich ordentlich sortiert, aber nie in militanter Strenge. Alles schwingt und singt miteinander. Sechs Gärtner hatten hier einst ihr Tun in den „Malkastenbeeten“. Und weniger werden es wohl heute auch nicht sein, um alles in Schick und Zaum zu halten.

Ein bisschen wirken die fachmännischen Anpflanzungen wie auf der Laga. Aber das Wissen, dass hier einst Monet mit seinen Freunden Sisley, Pissarro, Renoir, Cezanne oder Degas dem Sommer lauschten, schwingt in jedem Atemzug mit. Häufiger Gast war auch der Bildhauer Auguste Rodin, lese ich nach. Aber sein ungehobeltes Benehmen stieß vor allem bei den Damen des Hauses auf Entsetzen. Manchmal starrte er sie so aufdringlich an, dass sie den Raum verließen.

Überbordend. Schon zu Lebzeiten hingen die Bilder in Monets Atelier dicht an dicht

Vor allem im Inneren des Hauses mit der pastellgelben Essdiele und der blau-weißen Zubereitungsküche wirkt alles so, als sei der gastfreundliche Meister nur mal um die Ecke verschwunden. Auch in seinem Atelier hängen die Bilder fast noch so wie zu Lebzeiten. Auf der Staffelei steht ein Bild mit der gewölbten japanischen Brücke, auf der im dunklen Licht weiße Schatten tanzen. Wie munter mag es hier einst zugegangen sein, bevor sich Monets Augenlicht durch den Grauen Star eingetrübt hatte? Wie gut konnte sich der Maler auf das Spiel der acht Kinder – zwei von seiner früh verstorbenen Frau Camille und sechs aus der Ehe der geschiedenen Alice – einlassen? In diesem privaten Refugium kommt uns das Leben des Malers sehr nah – trotz der Besuchermassen. In seinem Schlafzimmer mit dem großen Fenster kriecht der Garten fast mit unter die Bettdecke.

Wenn ich in Potsdam bald wieder im Museumsabstand Monets Bilder betrachte, schaut Giverny sicher erhellend mit. Und auch die Frage: Wie kam der Maler seinen Seerosen so nah?! he

Falls auch Sie eine Fahrt nach Giverny planen (besser nicht an einem Wochenende!), empfehle ich Ihnen zur Einstimmung die Bücher „Monet: Seine Gärten – seine Kunst – sein Leben“ aus dem Prestel-Verlag (40 Euro) und auch das Kinderbuch „Linnea im Garten des Malers“ (12,99 Euro)

 

 

 

Vier nahezu unbekannte Gemälde von Claude Monet erweitern seit Kurzem den Impressionismus-Schwerpunkt des Museum Barberini mit seinen nun 107 impressionistischen Gemälden. Mit 38 Gemälden von Monet zeigt es den größten Werkkomplex dieses Künstlers in Europa außerhalb von Paris. Das Museum feiert die Neuerwerbungen mit einem reduzierten Ticket-Sommer-Special: Vom 15. Juli bis 31. August 2022 zahlen Besucherinnen und Besucher täglich von 16 bis 19 Uhr nur zehn Euro und ermäßigt acht Euro für den Besuch der Impressionismus-Sammlung und der aktuellen Ausstellung „Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion nach 1945“.

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