Kaum geht das Licht an, ereifern sich meine Kino-Mitstreiterinnen aufs Trefflichste. Wie kann diese Frau nach 45 Ehejahren nur so eifersüchtig sein? Dazu noch auf eine Vorgängerin, die 50 Jahre tot ist? Das ist doch sinnlose Selbstzerfleischung. Ja, wie kann sie nur, diese Kate, die doch immer so vernünftig ist?
Charlotte Rampling spielt es uns vor: authentisch, gefühlstief, verzweifelt. Und es ist durchaus möglich, sich in sie hineinzuversetzen. Zumal sie ein Leben lebte, das eigentlich einer anderen gehören sollte. So jedenfalls fühlt es Kate in diesem kammerspielartigen Kinofilm der leisen Töne.
Andrew Haighs Film „45 years“ beschreibt ein Paar, das den Alltag mit Achtung, Verständnis und Zärtlichkeit führt. Nein, die große Leidenschaft gibt es nicht mehr, aber diese kleinen Gesten der Zuneigung: ein Kuss auf die Stirn, ein Streicheln der Hand, ein warmes Lächeln. Bis eines Tages ein Brief ins Haus flattert. Aus der Schweiz. Man hat die Leiche von Geoffs Jugendliebe Katya in den Alpen entdeckt. Konserviert im Gletschereis und durch den Klimawandel wieder aufgetaut. Geoffs Gedanken kreisen mehr und mehr um seine einstige Jugendliebe aus Deutschland, die beim Bergsteigen verunglückte. Er will mit Kate über sie sprechen, zeigt ihr schließlich auch ein Bild von Katya, der hübschen Deutschen. „Meine Katya“ nennt Geoff sie. Und man sieht in Charlotte Ramplings Gesicht, wie sich bei dieser beiläufigen Redewendung Verwunderung, dann Erkenntnis, dann Schmerz ungläubig mischen. Liebt Geoff noch immer Katya? Hat er sie, Kate, überhaupt je geliebt, war sie womöglich nur Ersatz für eine größere Liebe, die nicht gelebt werden konnte? Schon sind die beiden im freien Fall.
Kate verkriecht sich immer mehr in ihrem Argwohn, in ihre klammheimliche, sie zerfressende Wut. Sie spioniert schließlich ihrem vertrauten geliebten Mann nach – sie, die immer so korrekt und anständig ist. Da sitzt sie nun mit Herzflattern auf dem Dachboden, findet die Dias von der Wanderung von Geoff und Katya – und mit jedem neuen Bild, das sie an die Wand wirft, versteinert ihr Gesicht mehr. Sie sieht nicht nur eine junge schöne Frau, sondern auch eine werdende Mutter. Sie, die selbst keine Kinder bekommen hat. Nur einen Hund, einen deutschen Schäferhund, den sie jeden Tag ausführt in die herbstliche Dorflandschaft. War alles, was sie gemeinsam mit Geoff erlebte, ihre Reisen, ihre Musik, ja auch die Literatur, die sie gemeinsam lasen, nur ein unterbewusstes Weiterleben mit Katya? Spielte Kate nur die Rolle der Stellvertreterin? Warum hat Geoff nie über Katya geredet? Das Schweigen türmt sich auf – nun auch in Kate. Es ist dieses ganz Alltägliche, die knappen, aber treffenden Dialoge, die sparsamen Gesten, die die Welt der beiden aufblättert wie ein Familienalbum mit seinen Glanzlichtern und Schattenwürfen. Die beiden haben keine Fotos von sich – genossen lieber den Moment unverstellt als mit der Kamera. Zu ihrem 45. Hochzeitstag bekommen sie von einer Freundin eine Fotocollage geschenkt – mit all ihren Erinnerungen. Doch können sie das Eis in Kate auftauen? „45 years“ ist ein feingesponnenes Psychogramm, vielleicht etwas ausgewalzt, aber brillant gespielt von Charlotte Rampling und Tom Courtenau in einer Sparsamkeit und subtilen Verstrickung der Gefühle, die hinterfragt, wie nahe oder wie fern man sich wirklich ist – nach 45 Jahren! (he)
Zu sehen im Thalia Kino Babelsberg.
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