Alter macht launisch: Das Neue Globe Theater mit einem actionreichen, aber zu langen König Lear

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König und Narr: Andreas Erfurth und Kilian Löttker. Foto: Gerrit Wittenberg

Diesem langen, zu langen Abend möchte ich ein kurzes Nachwort beifügen. Es ging heiß her, bei diesem „König Lear“ des Neuen Globe Theaters, das am Donnerstag im T-Werk Premiere feierte: bei gefühlten 40 Grad, die sich auch mit dem Programmheft nicht wegwedeln ließen. Die acht Mannen in schau-lustigen Frauen- und Männerkleidern kosteten den von Shakespeare tief gegrabenen Spielbrunnen genüsslich aus. Sie boten ganz im Sinne des großen Dramatikers pralles, derbes, witziges, bluttriefendes, zotiges und in seinen besten Momenten auch berührendes Theater.

Das drehte sich um einen alternder König, der abdankt und sein Reich in drei Teile teilen möchte: Jede seiner drei Töchter soll einen davon erhalten. Die ihm liebste Tochter würde er gern mit dem größten bedenken. Doch vor der Landvermessung möchte er ein Loblied hören: Die Töchter sollen in salvenreichen Worten ihre Liebe zum Vater preisen. Nachdem die älteren Schwestern sich gegenseitig in Plattitüden übertrumpfen, versagt ihm die Jüngste diese Speichelleckerei. Sie trägt ihr Herz nicht auf der Zunge. Dafür wird sie nun zum Teufel, also aus dem Reich gejagt. Denn der liebevolle Herr Papa ist auch ein Choleriker vor dem Herrn. Es kommt, was kommen muss: Die beiden liebesbeschwörenden Töchter, die den sich selbst entthronten, launischen Papa nun bei sich aufnehmen sollen, entpuppen sich als schön gewandete, aber böse Hexen. Ihr Teufel trägt Hamburger – die aufreizenden Kostüme von Hannah Hamburger.

König Lear ist der Sanftmütige und Aufbrausende, Eigensinnige und zunehmend Infantile: Er kämpft mit den zwei Seelen in seiner Brust, die schließlich Herz und Verstand zerreißen. Andreas Erfurth liegen vor allem die leisen warmen Töne. Seine cholerischen Ausbrüche nimmt man ihm weniger ab und so auch den plötzlichen Liebesentzug seiner Jüngsten. Großartig ist er als irrer kindlicher Schatten seiner selbst: der große König zusammengeschrumpft auf ein Häufchen Elend.

Die Inszenierung von Kai Frederic Schrickel setzt auf Witz, Schauwert, Bonmots und spritzige Dialoge, die Shakespeares Wortkraft auch für ein schnelles Konsumieren tauglich macht. Es ging damals, im Elisabethanischen Zeitalter, schließlich um Unterhaltung, um Show-Biz mit populären, spektakulären Action-Nummern – ist im sehr informativen Programmheft zu lesen. Das Neue Globe Theater streift sich Volkes Gewand beherzt über und lässt keinen Schenkelklopfer aus, was immer wieder zu Szenenapplaus führt. Alles wird ausgereizt. Der eigene Kopf hat wenig zu tun: Degen klirren, Blut spritzt, es gibt Slapstick und Strip. Es wird gefoltert, vergewaltigt, intrigiert, verraten. Allein: Es ufert aus. Erlösendes Pausenklingeln.

Im zweiten Teil nimmt die Dramatik Fahrt auf, es wird dichter, beklemmender, aufwühlender. Nach über drei Stunden ist das temporeich umspielte schwarze Bühnenpodest von Leichen übersät. Und die Kraft der Zuschauer am Ende. Was bleibt ist die Erinnerung an ein sehr schauspielerstarkes homogenes Team mit dem herausragenden herzerfrischenden Narren (Kilian Löttker), den wandlungsreichen Grafen Kent und Gloster (Dierk Prawdzik und Saro Emirze), dem Schönen Biest, Tochter Goneril (Paul Maresch) … Andreas Erfurth setzt sich fest als traurig gefallener König. (he)

Weitere Vorstellungen täglich bis Sonntag, den 26. Juni, jeweils 20 Uhr, im T-Werk, Schiffbauergasse, sowie zu den Schirrhofnächten open air Ende August.

Weiteres unter www.t-werk.de und www.NeuesGlobeTheater.de

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