Auch wenn die meisten Vorstellungen bereits ausverkauft sind, sollte man sich nicht davon abhalten lassen und es an der Tageskasse trotzdem probieren. Auch wir hatten Glück und ergatterten am zweiten Advent für den „Zauberer von Oz“ noch Karten. Selbst in der letzten Reihe ist der Blick gut und jeder wird im Nu hineingezogen in den abenteuerlichen Selbstfindungstrip von Löwe, Vogelscheuche und Eisenmann. Unser Enkel kannte die Geschichte bereits vom Vorlesen, langweilte sich aber keine Minute in dieser von Kerstin Kusch vital in Szene gesetzten stürmischen Geschichte. Es pustet anfangs so mächtig durch die Reihen, dass vielen Kindern der Schreck ins Gesicht geschrieben steht. Als dann auch noch die böse Zauberin aus der Wolke ihre Rachegelüste offenbart, klammern sich die Kleinsten zitternd an ihre erwachsenen Beschützer. Ein paar Orkanböen weniger hätten es vielleicht auch getan.
Dieser häuserzerstörende Sturm, der sofort an die realen Katastrophen denken lässt, weht Klein-Dorothee und ihr Hündchen Toto weit weg von Zuhause. Natürlich will das Mädchen wieder zurück zu ihrer Tante und auf diesem Weg passieren nun all die Dinge, die wohl fast jeder kennt – selbst wenn er den Hollywood-Film mit Judy Garland nicht gesehen hat. L. Frank Baums Märchenklassiker „The Wonderful Wizard of Oz“ steht seit 1900 ganz oben auf der Liste generationsüberreifender Beglückungsliteratur. Auch aus dem Hans Otto Theater kennt man diese Geschichte.
Nun steht sie erneut auf der Bühne: mit der erfrischend auftrumpfenden Carolin Schär als couragierter offenherziger Dorothee, die in die roten Zauberstiefel der vom Sturm erschlagenen Hexe steigt und sich munter ans Werk der guten Taten macht. Sie befreit die Vogelscheuche von ihrem Pfahl, kümmert sich um den eingerosteten Blechmann und stellt den feigen Löwen unter ihren Schutz. Sie alle begleiten Dorothee auf ihrer Reise nach Oz, denn dort soll ihnen eine gute Fee weiterhelfen: Die Vogelscheuche möchte Verstand, der Blechmann ein Herz, der Löwe Mut. Doch während die Vier die Welt durchqueren und Abenteuer bestehen, finden sie ganz von selbst zu ihrer eigenen Stärke. Ganz ohne Hexenbesen und Zauberei. Offensichtlich mussten sie sich „nur“ am Leben reiben, sich an Taten messen und ihr behütetes Zuhause verlassen, um sich behaupten zu lernen. Auf der Bühne von Matthias Müller dreht sich diese Welt zwischen Gut und Böse, Angst und Zuversicht und hält die Balance zwischen Märchenzauber und geerdeter Kindersicht. Claudia Lietz übernimmt gruselig-schön die Hexenparts aus West und Nord, Johannes Heinrich ist der weitsichtig-sympathische Strohkopf, Peter Wagner lässt seinen raubeinig-liebenswerten Blechmann knarren, Josip Culjak nimmt sein kleines Herz für große Sprünge tapfer in die Löwentatzen. Die spielfreudige Märchentruppe schafft es schließlich am Ende, auch gesanglich zusammen zu finden und einige Kinder zum Mitsingen zu animieren.
Nach einer guten Stunde gab es viel Applaus für eine Inszenierung mit kleinen Zaubereien, Lichteffekten und einer schlanken Erzählweise, die ohne großes Brimborium leichtfüßig unterhält. Für die zwei Techniker, die zu guter Letzt die Gondelknoten lösen, hätte sich aber bestimmt auch noch eine märchenhafte „Verwandlung“ finden lassen. he
Für Kinder ab 6 Jahren.
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