Das Motto provoziert. „Fanatisch“ ist die diesjährige Vocalise überschrieben: dieses glänzende Fest der Stimmen im dunklen Monat November. Warum wird diese Hohezeit der Musik, die den inneren Frieden beschwört, mit diesem negativ besetzten Wort „abgewertet“? Fanatiker versetzen gerade jetzt die Welt mit ihrem blinden religiösen Eifer in Angst und Schrecken. Ihre besessene Leidenschaft schafft Leiden.
Ud Joffe, der Künstlerische Leiter des Vocalfestivals, das vom 6. bis 27. November mit sieben Konzerten in vier Gotteshäusern aufwartet, weiß natürlich um die Irritation und will provozieren. Oder das Wort von seinem schwarzen Gewand befreien.
Denn wörtlich heiße fanatisch zunächst göttlich inspiriert, schreibt Joffe in seinem Vorwort im Vocalise-Flyer. „Wann Inspiration in Besessenheit umkippt und ab wann man kein neues Lied mehr singen darf, ist und bleibt umstritten.“
Der vollständige Titel „f … Fan … fanantisch“ möchte einen aktuellen Bezug herstellen. Im Hebräischen gebe es eine Entsprechung zu dieser Lautmalerei. FAN zu sein, also inspiriert, überzeugt und begeistert von einer Idee, Religion, von einer politischen Überzeugung oder auch von einer Sportart sei ja grundsätzlich nicht negativ. Aber darin fanatisch zu werden – schon. Wann beginnt es zu kippen? Genau um diese Thematik gehe es in einigen Konzerten.
Menschlich, göttlich und vor allem inspiriert soll sie sein: die Welt der Vocalise-Musik, die sich über die graue November-Tristesse erhebt. Und wer die warm ausgeleuchtete Erlöserkirche am frühen Sonntagabend zur Eröffnung betritt, wird sicher alle Düsternis hinter sich lassen und Eintauchen in das Klangmeer gemeinsamen Musizierens. „Eine feste Burg ist unser Gott“ heißt es da in der Kantate Johann Sebastin Bachs, bevor seine Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied“ erklingt und schließlich in Felix Mendelssohn Bartholdys „Reformations-Sinfonie“ mündet.
„Dreihundert Jahre protestantischen Eifers verbinden Luther über Bach mit Mendelssohn.“ Das lutherische Motiv ,Ein feste Burg‘ sei sprachlich wie musikalisch Grundlage vieler Kompositionen, so Joffe. Ob man dagegen „Ein neues Lied“ singen oder sich lieber „steif und fest auf Gottes Huld‘“ verlassen soll?“ Das wollen die Musiker um Ud Joffe musikalisch klären. Blinder Eifer hat da nichts zu suchen. Umso mehr die göttliche Inspiration.
Lassen wir uns also auf unseren Zuschauerplätzen inspirieren von Potsdams Chören und Orchestern: ob beim „Deutschen Requiem“ von Brahms in St. Nikolai, den nordischen Kompositionen um „Krieg und Frieden“ in der Erlöserkirche, dem weltumspannenden A-Cappella-Konzert „Um Gottes Willen“ in der Französischen Kirche oder bei Händels Oratorium „Israel in Egypt“ als Winteroper in der Friedenskirche. (he)