Seine Mutter nahm sich das Leben elf Tage vor seinem dritten Geburtstag. Sie war einundzwanzig und zum zweiten Mal schwanger. Olaf wuchs in der Familie seiner Tante und seines Onkels auf. Durchaus liebevoll. Über den Tod der Mutter sprachen sie nie mit ihm. Olaf wusste nur, etwas Schlimmes war passiert. Kein Thema für Kinder. Ständig fühlte er sich schuldig, hatte ein schlechtes Gewissen, ohne zu wissen warum. „Es gab keinen Kinderpsychologen, nur Schuld.“
Heute ist Olaf Schwarzbach 50 und bekannt unter seinem Künstlernamen OL. Er hat seine Geschichte in einem Roman aufgeschrieben: federleicht – ohne die Tiefen zu umschiffen. Der Cartoonist lässt die Vergangenheit hochschwappen wie einen kalten Wasserschwall.
Die politische Gängelei, die Willkür in der Schule, sein Aufbegehren, die Sauforgien, seine erste Berührung mit der Staatssicherheit. Da war er sechszehn und erhielt in seiner Akte den Namen „Forelle“ – wohl wegen seines Nachnamens Schwarzbach. Und vielleicht auch, weil er so schillerte wie eine Forelle. Zu bunt, zu auffällig, zu unangepasst für diesen auf Einheit getrimmten grauen Staat. Er sei jemand, „dem es schwerfällt, gesetzte Normen anzuerkennen und einzuhalten“, liest er später in seiner Akte.
Dieser Olaf rebelliert, lässt sich nichts überhelfen, lebt seine Jugend in wilden Exzessen. Doch da gibt es auch diese Albträume, diese schmerzhafte Melancholie, die ihn befällt wegen des bevorstehenden Armeediensts, aus Angst vor der Arbeit als Drucker im Dreischichtsystem, aus Angst, die Liebe nicht zu finden. Er flüchtet in den Selbstmord, so wie mehrere Bekannte vor ihm. Am Ende ist er froh, dass zwei Hände voll Schlaftabletten nicht ausgereichten. Seine Ersatzmama findet ihn –es wird auch darüber nicht gesprochen.
Diese so plastisch und auch humorvoll erzählte Biografie ist zugleich eine Zeit- und Ortsreise, die vor allem für Potsdamer höchst spannend ist. Olaf Schwarzbach lebte, liebte, verzweifelte, lachte hier: beim Ausflug in die Kleingartenanlage Krähenbusch, beim Umzug aus dem Französischen Viertel in die Haeckelstraße 31 in Potsdam-West, beim Skatspiel in der Schlachteplatte, beim Kintopp im Filmtheater Charlott, beim Tennisspielen an der Pädagogischen Hochschule, beim Nichtdazugehörigen in der Evangelischen Studentengemeinde Kiezstraße, beim Wegdriften am verruchten Stammtisch im Café Heider. Das pralle schillernde Leben von OL erzählt auch Stadtgeschichte und die eigenen Erinnerungen mit. Vieles, was vergessen schien, blitzt wieder auf, nicht schwarz-weiß, sondern in bunter Fülle, in seinen Abgründen und Aufbrüchen, Ängsten und Hoffnungen – komisch und anrührend zugleich. OL landet schließlich kurz vor der Wende auf der Couch seiner Tante in Bayern – haut ab, weil die Stasi bei einer Durchsuchung seine systemkritischen Comics findet. Eigentlich wollte er nie in den Westen. Und nun sitzt er da: „Mit Tränen in den Augen. Im Fernsehen Trabis, die sich hupend durch jauchzende Menschenmassen schieben. Sechs Stunden zuvor war mir der linke untere Weisheitszahn gezogen worden. Auch das noch, ist alles, was ich denken kann.“
Auf dem Buchrücken ist von Katja Lange-Müller zu lesen: „OL ist der lebendige Beweis: Humor und Witz, komisches Talent eben, ist keine Gabe, sondern Notwehr“. Oder beides zusammen. (he)
Olaf Schwarzbach liest am Dienstag, den 1. September um 20 Uhr, in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstr. 46/47, aus seinem Buch „Forelle Grau. Die Geschichte von OL“ (erschienen im Berlin Verlag). Danach gibt es ein Gespräch mit dem Autor. Es moderiert Hendrik Röder. Eintritt kostet 7/ erm. 5 Euro. Der Kultursegler verlost zwei Freikarten.
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