Sieben Seen, sieben Kirchen, 24 Konzerte, 20 Orte – das ist das ambitionierte Programm des diesjährigen Fahrradkonzerts der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, das am vergangenen Sonntag in achter Auflage stattfand. 1500 gut gelaunte Radler schwangen sich bei schönsten Sommerwetter auf ihre Drahtesel, um auf 33 bzw. 24 Kilometern in den Genuss der vollen Packung Kultur zu kommen.Vier von ihnen waren wir: mein Freund, meine 2-jährige Tochter, meine Freundin Lisa und ich. Alle Potsdamer, alle Fahrradkonzert-Debütanten. Meine größte Sorge war nicht die Länge der Strecke oder die Fülle des Programms, sondern vor allem, meine Tochter den ganzen Tag bei Laune zu halten. Denn alle Eltern wissen, nur wenn das Kind entspannt ist, kann man selbst entspannen. Also rüsteten wir uns für diese Herausforderung und legten unser Augenmerk auf ausreichend Proviant. Bestechungsmaterial ist das A und O, wenn die Laune zu kippen droht.
Das Programm studierte ich schon einige Tage im Voraus, was sich als hilfreich erwies, da ich mir so schon einmal einen ungefähren Überblick über das Angebot und die Route verschaffen konnte. Wir entschieden uns für die abgespeckte Tour 1 von 24 Kilometern, die sich aufgrund ihrer Länge und der zusätzlichen Programmpunkte für Kinder vor allem an Familien richtete. Doch auch viele Radler der Generation 60+ waren für die kürzere Runde dankbar.
Flamenco und Turmbesteigung – Auf dem Alten Markt
Nachdem wir am Luisenplatz eingecheckt hatten – um 10.15 Uhr gehörten wir schon zu den Bummelanten – führte unsere Tour erst einmal zum Alten Markt. Hier erhofften wir uns bereits das Tageshighlight: Feuerflamenco von Carolina Pozuelo Mentero und Miguel Lara. Seit unserer letzten Andalusienreise im Winter waren wir, vor allem aber unsere Tochter, im Flamenco-Bann. Bei einem Tanz in den Straßen Granadas kamen mir einmal sogar die Tränen, so sehr fesselten mich die Kraft, das Gefühl und das Feuer der Tanzenden. Am Alten Markt sprühten die Funken leider weniger. Zwar waren die Tänzer schön anzuschauen, aber die „emoción“ fehlte. Schade. Freude kam allerdings bei der anschließenden Turmbesteigung des Potsdam Museums auf. Aus den Fenstern zu Füßen des Goldenen Atlas bot sich einer toller Blick über den Alten Markt: in seiner neuen Gestalt ein wahres Schmuckstück! Die Pneumaphone von Godfried-Willem Raes, die ebenfalls im Potsdam Museum untergebracht waren, begeisterten nicht nur die jungen Kulturradler. Indem man sich auf ein Luftkissen niederließ oder es drückte, löste man unterschiedliche, zum Teil sehr skurrile Töne aus. Und so pupste, quietschte und mähte es aus den an die Luftkissen angeschlossenen Flöten, Grammophonen und anderen Schallbechern.
Lunch und Brass – Forsthaus Templin
Nach so viel Kultur brauchte es erstmal eine Melonenpause. Bereits da war uns klar, dass Bummeln nicht Teil des Plans ist. Wenn man alle Programmpunkte miterleben möchte, sollte man pünktlich 9.30 Uhr einchecken und losradeln, um später nicht hetzen zu müssen. Und so übersprangen wir notgedrungen bereits die zweite Station auf der Halbsinsel Hermannswerder: Dort wurden Klangspiele für Kinder, ein Klavierkonzert und Inselführungen angeboten. Wir radelten indes direkt zum Forsthaus Templin. Mit der Brassband Schlossplatzquartett wurde selbst die Mittagspause zum Kulturevent. Obwohl die Radler sich mehr für Bier und Bratwurst als für Brass interessierten, sorgten die Jungs für ein nettes Begleitprogramm. Und ich habe nun auch mal das Forsthaus kennengelernt – ein schönes Ausflugsziel vor allem für Familien, da es einen kleinen Streichelzoo und viele Spielmöglichkeiten gibt.
Führung und Gartenkonzert – Einsteinhaus Caputh
Da ich das Einsteinhaus selbst schon kannte, stürzte ich mich direkt in den Wohlfühlgarten des Sommerhauses. Denn dort begann just das Trio Spiegelwelt sein Programm zwischen Tango, Bach und Django Reinhardt. Die drei sympathischen und beschwingten Musiker sorgten in nur wenigen Augenblicken sofort für gute Laune. Gepaart mit der fröhlich-leichten Auswahl ihrer Stücke und der tollen Kulisse bleibt dieser Programmpunkt unser absoluter Tageshöhepunkt.
Barock und Installation – Schloss Caputh
Am Schloss Caputh legten wir nur einen kurzen Stopp ein, da Barockmusik nicht ganz unseren Nerv trifft. Aber die „Wheel Machines“ erspähte meine Tochter schon von Weitem und so begutachteten wir die interessante Installation aus sich drehenden Fahrradteilen noch einmal von Nahem. Im Anschluss steuerten wir die Fähre an, um von Caputh Richtung Geltow überzusetzen. Da die „Tussy II“, ja, so heißt die flotte Seilfähre, jedoch gerade ablegte, nutzten wir die Gelegenheit für eine Eispause mit Blick auf den regen Schiffsverkehr. Und wie häufig auf dieser Tour stellten wir fest: Ach, auf welch hübschen Fleckchen Erde leben wir doch!
Havel-Trommeln – Campingplatz Sanssouci
Auch den malerischen Weg entlang des Petzinsees bin ich zum ersten Mal entlang geradelt, die Geltow-Station an der Handweberei haben wir mit Blick auf die Uhr links liegen gelassen. Mit mehr Zeit im Gepäck hätten wir bestimmt auch eine Pause an eine der Badestellen eingelegt, um unseren aufgeheizten Körpern eine kleine Abkühlung zu gönnen. Aber so ging es radelnden Fußes direkt zum Campingplatz Sanssouci. Dass man hier gut urlauben kann, glaubt man gern. Schon von weitem hörten wir das Trommeln. Schnell parkten wir unsere Räder – an jeder Station warteten nette Damen, die einem den Platz wiesen – um einen Blick auf diesen Virtuosen zu erhaschen. Sehr konzentriert und in sich gekehrter als es seine Musik erahnen ließ, entlockte Mohammend Reza Mortazavi seinen Perkussions eine Vielfalt an Klängen.
BMX-Konzert – Bahnhof Pirschheide
Der krönende Abschluss unseres Fahrradkonzerts war die BMX-Performance im wieder belebten Bahnhof Pirschheide. In den Räumlichkeiten des kürzlich eröffneten Clubs, der bisher vor allem mit seinen Mund-Pissoirs für Schlagzeilen sorgte, heimste Viki Gómez, BMX World Champion 2016, einige Ahs und Ohs ein. Zu den Klängen des Berlin Chamber Players Quartet drehte, hüpfte und balancierte der Spanier mit seinem drahtigen Tanzpartner leichtfüßig über das Parkett. Abgefahren!
Die Führung durch das Dampfmaschinenhaus, die mich sehr interessiert hätte, da ich sie täglich passiere, sowie das furiose Abschlusskonzert im Nikolaisaal mussten leider ohne uns stattfinden, da wir es nicht mehr rechtzeitig erreichen konnten. Aber bei einem Wein im heimischen Garten ließen wir diesen erlebnisreichen Tag ausklingen. Geschafft und glücklich. Das Konzept des Fahrradkonzerts hat uns überzeugt! Auch wenn uns die geballte Ladung Kultur ganz schön ins Schwitzen brachte, waren wir begeistert von den schönen Orten, der guten Organisation und der ausgelassenen Stimmung. (so)
Das nächste Fahrradkonzert findet am 10. Juni 2018 statt. Der Vorverkauf startet kurz vor Weihnachten.
Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci laufen noch bis zum 25. Juni. Für einige Veranstaltungen gibt es noch Karten. Mehr unter: http://www.musikfestspiele-potsdam.de/