Natürlich kaufen wir im Foyer ihre druckfrische CD, um sie gleich auf dem Nachhauseweg im Auto zu hören. Dieser Abend, dieses Fest soll einfach noch nicht zu Ende sein. Lisa Simone lädt den Nikolaisaal mit einer Energie auf, die sich wie ein Leuchtfeuer über das Publikum ergießt und es mit Glücksgefühlen erhellt. Grandios, fulminant, anrührend, sympathisch – jedes Kompliment ist nicht übertrieben für diese zarte Frau mit der Wahnsinnsstimme, die mal samtweich, dann wieder kantig scharf, in jedem Fall raumgreifend elektrisierend und federleicht die Welt durchmisst: von ihren erdigen Wurzeln bis in die Lichte des Himmels.
Unangestrengt entströmen ihr die hohen und tiefen Töne auf ihrem Hocker oder im Schneidersitz wie am Lagerfeuer. Sie ist Gazelle und Löwin zugleich, das kleine Mädchen und die reife Frau. Wenn sie das Lied singt, das einst ihre verstorbene Mutter – die legendäre Sängerin Nina Simone für sie sang – schauen wir gerührt hinein in das Fenster ihrer Kindheit.
Lisa erzählt und singt ihre Lebensgeschichte ohne Pathos und doch mit Seelentiefe. Und sie lässt die Tränen fließen, wenn sie zurückkehrt in das Haus ihrer Mutter: das nach dem Tod so eisig kalt geworden ist. Heute lebt sie selbst dort: Es ist ihre Basis. Lange, fast zu lang, stand sie im Schatten der Mutter, und man riet ihr ab, selbst ins Scheinwerferlicht zu treten. Die ausgebildete Ingenieurin diente elf Jahre in der US Air Force, davon mehrere Jahre in Frankfurt am Main. Heute gehört sie in Frankreich, ihrer Wahheimat, zu den Top 5 der besten Jazzsängerinnen.
Sie ist 53 Jahre. So steht es in ihrer Vita. Doch mit ihrer Kraft, ihrer Bühnenpräsenz wirkt sie blutjung. Sie steigt hinab zum Publikum, schüttelt die Hände, verschenkt ihr Lächeln wie Pralinen und lässt alle näher zusammenrücken – bis es keinen mehr auf dem plüschigen Sessel hält. Und auch ihre Musiker preschen nach vorne: jeder wie Lisa Simone ein Ausbund an Vitalität und musikalischer Meisterschaft. Sie feiern mit uns ein Fest der Lebensfreude, das nicht enden soll.
Die CD „My World“ ist gegen diesen Sturm auf der Bühne nur ein lauwarmer Windzug. Warten wir also auf das nächste Konzert. Leider sind auf dem Tourneekalender Potsdam und Berlin noch nicht wieder vorgemerkt. (he)