Für diese Inszenierung muss man nicht werben. Karten gibt es erst wieder für die Aufführung am 1. Januar 2018. Es hat sich wie im Lauffeuer herumgesprochen, dass sich dieser Abend am Hans Otto Theater lohnt. Stehende Ovationen, Bravos und zwei Zugaben gab es zur Premiere. Das Theater am Tiefen See verwandelte sich in eine mitschwingende Konzerthalle, die für „Rio Reiser. König von Deutschland“ den Teppich ausrollte. In dem Schauspielmusical von Heiner Kondschak setzt Moritz von Treuenfels die schwarze Schiebermütze von Rio auf und füllt sie atemberaubend aus. Die rauchig dunkle Stimme des Schauspielers mäandert zwischen balladesk und rockig, zornig und sanftweich. Er zieht hinab in die Niederungen und schießt pfeilschnell wieder hinauf. Die ganze Palette jugendlicher Aufruhr und Sehnsucht durchzieht diesen liebesdurstigen rebellischen Gesang, der den Abend bestimmt. Dieser zarte verletzliche Mann durchlebt feinnervig seine Rolle und füllt das Original mit dem ganzen Körper aus.
In den von Regisseur Frank Leo Schröder und dem musikalischen Leiter Juan Garcia sehr gut ausgewählten Songs und eingestreuten Zitaten des Sängers wird collagenhaft die Geschichte von Rio Reiser und seiner Band „Ton Steine Scherben“ erzählt.
Wir Ostler ahnten nur, was sich in West-Berlin 1970 hinter der Mauer abspielte. Dort stand die Jugend auf, rebellierte gegen Eltern, Staat und autoritäre Strukturen, gegen alte Nazis, rigide Sexualmoral, Schah-Besuch und Vietnamkrieg. „Sie probieren SDS und APO, Stadtguerilla und Hausbesetzungen, Kommune 1 und LSD, freie Liebe und Kinderläden aus“, heißt es im Theaterflyer. Gegen Ausbeutung und Unterdrückung, für Gerechtigkeit, Solidarität, Selbstbestimmung zogen sie zu Felde. Schlagwörter, die wir täglich gelangweilt in der Zeitung lasen, forderten linke Studenten mit Leidenschaft ein. Einige mussten mit ihrem Leben dafür bezahlen, wie Benno Ohnesorg. Wir konnten nur daran Anteil nehmen, als über die Transitautobahn sein Sarg von Westberlin nach Westdeutschland überführt wurde.
Rio Reiser und seine Rockband „Ton Steine Scherben“ zogen in dieser aufgeheizten Stimmung von Solikonzert zu Solikonzert, ihr Geld reichte kaum für eine Schmalzstulle. Sie sangen „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ und trafen den Nerv ihrer Generation. Doch irgendwann ging ihre Energie der Selbstausbeutung zu Ende. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, aber zum Überleben braucht er es doch. Die „Scherben“ zogen auf einen Bauernhof in Nordfriesland, um dort ihre Idee vom gemeinsamen Leben und Musizieren ohne Hierarchie zu verwirklichen. Doch wie so oft scheitern Ideale an der Wirklichkeit, der täglich gelebten Praxis. Die erhoffte Gleichheit blieb ein Trugbild.
Wir sehen Rio, diesen sympathischen freundlichen Gemütsmenschen aufbrausen, dann wieder in sich zusammenfallen, wenn der Erfolg ausbleibt, die Schulden sich häufen. Er fühlt sich allein gelassen beim Dichten und Denken. Die Band löst sich auf. Rio, der Frontmann, unterschreibt Mitte der 80er Jahre einen Soloplattenvertrag. Es beginnt eine unheilvolle Allianz, in der der öffentliche Druck sich mehrt, die Erwartungen ihn einschnüren. Rio tanzt Tango mit seinem Manager, ein aufwühlendes Gleichnis in der Choreografie von Marita Erxleben. Auch Rios erste Liebe, die ihn ans „andere Ufer“ treibt, ist in verführerischer Leichtigkeit choreografiert: in einem zarten „Tanz“ der Hände. Auch wenn die Inszenierung nicht immer von dieser Poesie getragen wird, manchmal auch etwas kantig wirkt, reißt sie mit. Sie zeigt die große Verletzlichkeit eines Musikers, der in seinen hochemotionalen Songs, Politisches und Privates miteinander verwob. Er ging an diesem Knäuel zugrunde. Schließlich vergiftete der Alkohol sein Blut. Die Krone für den König von Deutschland erwies sich als Dornenkrone. Als Rio Reiser nach der Wende in die PDS eintrat und sein Song „Der König von Deutschland“ zur Hymne der Linken wurde, ist es vorbei mit seiner Karriere. Er wird in „Sippenhaft“ genommen, die Medien und Plattenfirmen schneiden ihn.
„Wir sind geboren, um frei zu sein!“, singt Moritz von Treuenfels, alias Rio Reiser, und an seiner Seite spielt ein großartiges Ensemble, unter ihnen der gesangsstarke Florian Schmidtke, beseelt mit auf. Sie reisen durch diesen Abend mal wie Tramps mit leichtem Gepäck, dann wieder schwerbeladen wie Packesel, die sich die Last der gesellschaftlichen Verkorkstheit aufbürden. Dieses Musical ist hochaktuell in der Suche nach Liebe, Idealen und Halt, die hart auf die Wirklichkeit der auseinanderfallenden Welt prallt.
Aufgeputscht von diesem wuchtigen und aufwühlenden Premierenabend hörten wir Zuhause Rio im Original. Es war wie eine Fortsetzung des Abends und irgendwie schien es so, als würden Moritz von Treuenfels und seine „Scherben“ das Original noch toppen. he
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Karten gibt es wieder für die Vorstellung am 1. Januar 2018, um 17 Uhr