Sonnige Kontraste neben Dämmerdunkel. Ein Bildband erinnert an Walter Leistikow, dem Publikumsliebling und Dolmetscher der spröden Natur

In Stille versunken: Grunewald See, 1895. Sammlung Staatliche Museen Berlin

Es ist ein Genuss, sich durch diese Landschaften zu blättern. Die „spröden Reize der festlichen Kiefernwälder“, die der Maler Walter Leistikow vor gut 120 Jahren auf die Leinwand zauberte, sind vertraut und erstrahlen doch immer wieder in neuer Magie. Ein mit viel Liebe im BeBra-Verlag erschienener Bildband huldigt Leistikows Kraft der Stille. Nicht nur die Reproduktionen der Gemälde überzeugen in farblicher Wucht. Auch der Text von Nicole Bröhan verleiht dem einstigen Mitbegründer der Berliner Sezession lebendige Konturen. Die Kunsthistorikerin und Tochter des Begründers des Bröhan-Museums nimmt uns mit hinein in ein kurzes, aber intensives Malerleben.

Leistikow (1865-1908) gehörte neben Max Liebermann und Lesser Ury zu den großen Namen der Berliner Malerei um 1900. „Die Woche“ wählte ihn damals in einer Umfrage zum beliebtesten Maler Berlins – gleich nach Adolph von Menzel. Es wurden Lithografien seiner Gemälde angefertigt, so dass sich auch die weniger betuchten Berliner einen echten „Leistikow“ leisten konnten.

Porträt Walter Leistikow, 1893, gemalt von Lovis Corinth, Stiftung Stadtmuseum Berlin

Es waren stille Bilder, „hell magisch, heiter melancholisch, menschenleer“, wie sein Malerfreund Lovis Corinth es beschrieb. Dieser Meinung war Kaiser Wilhelm II. ganz und gar nicht.  „Er hat mir den ganzen Grunewald versaut“, wetterte der Monarch. Von dieser Äußerung ließ sich Leistikow jedoch nur kurz beeindrucken. Er setzte weitherhin seine Spiegelungen im See, seine angeschnittenen Bäume dagegen. Menschenleer, doch in großer atmosphärischer Lebendigkeit. Eine Reise nach Paris brachte ihn vom realistischen Naturalismus ab und ließ ihn im romantisch-symbolistischen geprägten Stil ankern: Ihn interessierten wie seinen Freund Edvard Munch die Gefühle, die eine Landschaft auszulösen vermag. Sonnige Kontraste neben Dämmerdunkel. Kritiker lobten seine Grunewald-Bilder als „Gipfel der intimen Naturbetrachtung“ Über seine langjährige Syphilis-Erkrankung lag indes ein Schleier des Schweigens; sicher auch um seine Frau, die dänische Kaufmannstochter Anna Mohr, und die beiden Kinder zu schonen. Walter Leistikow kam seinem qualvollen Tod zuvor. Der Publikumsliebling erschoss sich mit 42 Jahren in einem Sanatorium in Berlin-Schlachtensee.

Ein Leuchten der Natur. Teich in der Mark, Bröhan-Museum

Es bleiben seine melancholischen Kieferwaldungen. „Wie sich die dunklen Wipfel knorrig gegen die wehenden Wolken absetzen und zu Füßen sich in schwarzen Dümpeln spiegeln, hat Leistikow verstanden wiederzugeben wie kein anderer. Er ist für die Welt zum Dolmetscher dieser spröden Natur geworden“, so Corinth über den toleranten, aufgeschlossenen und humorvollen Freund, der zugleich Netzwerker war und ein Talent zur Selbstvermarktung hatte. 1907 wurde ihm der Professorentitel verliehen. Zur richtungsweisenden Leistikow-Ausstellung 1989 in Berlin hieß es: „Er war der energischste Kämpfer für die Moderne in Deutschland an der Jahrhundertwende.“

Ich erinnere mich noch gut an die Ausstellung 2017 im Bröhan-Museum, in der seine Arbeiten mit Hagemeisters Landschaften in einen Dialog traten: beide den Dramen der Natur zugewandt. Anders als in der Stille von Leistikow bewegte bei Hagemeister (Jahrgang 1848 und damit 17 Jahre älter als Leistikow) der Wind das Gras, der Sturm an der Ostseeküste die Wellen. Hagemeister hatte mehr Zeit, seine Kunst reifen zu lassen als der so früh aus dem Leben geschiedene Leistikow.

Das vorliegende Buch aus dem BeBra-Verlag gewährt Walter Leistikow einen Soloauftritt und macht dem unvergessenen Künstler eine respekt- und liebevolle Aufwartung.  he

Walter Leistikow. Künstler der Moderne, gebunden 144 Seiten, 70 farbige Abbildungen, 26 Euro

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