Wittenberg: Wir sind schon da!

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Asisis zeichnerische Annäherung an Luther: zu sehen im imposanten Panorama-Neubau „Luther 1517“.

Manchmal bringt es nichts, die erste sein zu wollen. Mit Luther und Wittenberg sollte man sich Zeit lassen. Noch hat der Winter das kleine Städtchen im Griff und mit ihr seine Einwohner. Die Freude auf Touristen hält sich jedenfalls bislang bedeckt.

Ich hatte die tolle Idee, Genuss und Kultur in einem Geschenk zu vereinen und legte meinem Mann eine Kurzreise in das Hotel Brauhaus unter den Weihnachtsbaum. Das versprach nicht nur ein Eintauchen in die traditionsreiche 500-jährige Geschichte, sondern auch eine eigene Brauerei mit Haus-Verkostung – was meinem hopfenzugewandten Mann sicher gefallen würde. Nun gut: Wir waren die beiden einzigen Probierwilligen bei unserem Februar-Ausflug. Also fiel dieser Programmpunkt schon mal aus Mangel an Beteiligung aus. Dafür lockte die Brauhaus-Küche mit Deftigem – und eine stärkende Suppe ist ja nie verkehrt als Grundlage für eine Stadteroberung. Die Kellnerin im flotten Dirndl machte indes gleich mal die Ansage, an welchem Katzentisch wir uns platzieren sollten. Die großen Tische seien großen Gesellschaften vorbehalten. Aber noch war keine einzige Menschenseele außer uns auszumachen. Wir zeigten uns widerborstig und setzten uns dennoch in die geräumige Fensterecke – und hatten Glück: Wir wurden dennoch bedient. Ein weiteres Paar, das nach uns eintrat, machte sofort auf den Hacken kehrt, als ihm trotz  gähnender Leere ein Platz an einem Zweier-Tisch zugewiesen wurde.

Nach unserer Suppe zogen wir unternehmungslustig zur Touristik-Information, um mit einer Stadtbesichtigung den richtigen Einstieg in die Vergangenheit zu finden. Laut Prospekt sollte jetzt im Winter  täglich um 14 Uhr eine Führung stattfinden. Aber bereits um 13:45 stand fest: Nein, eine Führung gibt es heute nicht. Es seien keine Anmeldungen reingekommen. Mein Einwand, es könnten doch bis 14 Uhr noch weitere interessierte Menschen  aufschlagen, hatte keine Chance. „Wir bestellen doch keinen Stadtführer, wenn wir nicht genau wissen, ob Leute kommen.“ Alles klar: Also nehmen wir die Sache alleine in die Hand und gehen vis-a-vis in die thesenbeschlagene Schlosskirche. Hier gibt  es eine Führung, allerdings erlebten wir nur noch das Finale. Der reifere Herr „Guide“ war gerade in der Zeit Napoleons und der Wilhelms angekommen. Ja, er fasse die Wilhelms immer gern zusammen: wer könne sich schon merken, wer welcher sei?! So einfach geht’s!

Wittenberg2Da das Luther-Haus im Luther-Jahr noch mit letzten Handschlägen der Sanierung zu tun hat, ließen wir die Baugerüste links liegen und freuten uns umso mehr, dass schon das „Panorama von Asisi“ geöffnet hatte – was das bunte Gästejournal-Prospekt Wittenbergs  nicht unbedingt vermuten ließ. Dort ist zu lesen: „Luther 1517 wird nicht nur während der Weltausstellung zur Reformation im Sommer 2017 zu erleben sein, sondern mindestens fünf Jahre lang zu einer Zeitreise in die Epoche der Reformation in Wittenberg einladen“. Zum Glück vertrauten wir in diesem Fall der Touristik-Info und erfuhren, dass das riesige Blech-Rund auch jetzt schon im Winter seine Gäste empfängt. Und allein dafür hatte sich der Ausflug gelohnt: begleitet durch die tolle Führung eines jungen Lehrers, der uns tatsächlich das Sehen und Verstehen lehrte. Nie und nimmer hätte ich allein auf diesem sechs Meter hohem 360-Grad-Panorama-Wimmelbild die leichten Damen ausgemacht, die ihren gelben Unterrock anzüglich lüpften: Gelb als Zeichen der Schande und Unzucht. Im Mittelalter galt Gelb als Farbe der Ächtung: Dirnen, Juden und Ketzer mussten gelbe Zeichen als Symbol der Schande tragen. Und die Malerei spiegelte diese Bedeutung. Der Judenstern der Nazis ging auf diese Zuschreibung ebenfalls zurück. Auch Luthers Antisemitismus ist Thema auf dem Riesenrundbild, das mit Licht und Geräuschen vom ersten Hahnenschrei bis zum letzten Disput um Gott und die Welt durch Tag und Nacht führt. Eine Zeitreise, die Ablassbriefe, die Rolle des Papstes und des sanften und auch widersprüchlichen Reformers Luther sehr greifbar werden lässt.

Das Abendprogramm im winterlichen Wittenberg ist weitgehend auf das Kino beschränkt: Immerhin ein sehr schönes altes Exemplar von 1937, gut hergerichtet mit einem ehemaligen Kassenhäuschen in der Foyer-Mitte und mit moderner Technik. Na und die Cranachhöfe, die mit der DDR fast zeitgleich am Ende waren und jetzt bestens restauriert auf die Cranachsche Bilderwelt in der Stadtkirche vorbereiten, sind ebenfalls ein Muss im Touristikeroberungsprogramm. Insofern ist Wittenberg auch schon jetzt eine Reise wert, bevor dann ab 20. Mai die „Weltausstellung Reformation“ die ganze Welt nach Wittenberg zieht. Dann sicher mit garantierter Stadtführung und auch mit einem Bierchen zum Verkosten. Und die Kellnerinnen werden bis dahin auch noch ihre Lektion lernen. he

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„Wo Häuser verkommen, verkommen auch Menschen“, hieß es auf einem Plakat an den verfallenenen Cranachhäusern zur Wendezeit. Inzwischen wurde viel saniert und wo nicht, da verdecken bunte Historienbilder das Ruinen-Grau.

 

2 Kommentare

  1. Toller Bericht über das Wochenende in Wittenberg. Er macht Lust, sich auf diese Stadt- trotz der beschriebenen Widrigkeiten- einzulassen. Jedenfalls werde ich noch vor den erwarteten Touristenströmen einen Trip dorthin planen.

  2. Hallo und vielen Dank für den interessanten Artikel. Auch nach dem Lutherjahr ist Wittenberg immer noch eine Reise wert. Die genannten Tipps haben mir sehr gut gefallen.

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