Zeit, die hilft

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Am Nachmittag: Kira und weitere Helfer nehmen Spenden entgegen. Alles läuft unbürokratisch. / Foto: he

Gleich hinter der Schranke am Horstweg – vis-à-vis vom Arbeitsamt – steht Kira und nimmt die Sachen entgegen. Gerade kommt ein Mann mit Fahrrad und hat dicke Decken auf dem Gepäckträger. Die nimmt Kira gern. Es stapelt sich bereits unter ihrem weißen Partyzelt. Noch ist Kira allein, für morgens ist es schwer, Helfer zu finden. Sie selbst überlegte nicht lange, um sich in der Erstaufnahme-Zweigstelle in Potsdam einzubringen. Sie musste einfach zupacken. „Geld habe ich nicht, aber vielleicht etwas mehr Zeit als andere.“ Also nutzt sie die Semesterferien und empfängt mit freundlichem Lächeln die vielen Spender.

Manches muss sie auch ablehnen. Das fällt ihr schwer. Aber die Lagerkapazitäten sind nun mal begrenzt.

Und fürwahr: Die Sachen stapeln sich, aber es gibt bestimmte Dinge, die immer wieder fehlen. Ungebrauchte Unterwäsche zum Beispiel – in allen Größen. Gerade ist ein voller Plastiksack  abgegeben worden und die Slips gehen weg wie warme Semmeln. Hygiene ist den Ankömmlingen wichtig nach der langen Reise zwischen Leben und Tod. Sie haben es geschafft: Heute Nacht kamen weitere 110 Männer, Frauen und Kinder an. Auch Schwangere waren dabei, die sich natürlich auch über Kleidung freuen würden.

Einige der Spenden breiten wir gleich draußen auf einem kleinen Teppich aus. Hier können die Weitgereisten in Ruhe und in der Sonne nach der geeigneten Kleidung suchen. Die meisten Männer sind schmal. Also suchen sie Textilien in S und M. Das Einsortieren nach Größen in die jeweiligen Regale kostet Zeit. Und die Helfer werden weniger.

Anja
Anja hilft, die Kosmetik einzusortieren. Schon den dritten Tag. / Foto: he

Anja ist seit Mittwoch dabei und sortiert mit großem Überblick und bewundernswerter Ruhe die Kosmetik ein. Haargel, Kämme, Spiegel, Handcreme könnte sie noch gut gebrauchen. „Manchmal fragen mich Spender: Wieso brauchen die Haargel?“ Die couragierte Studentin für Erziehungswissenschaft weiß die einfache Antwort: „Sie wollen sich schön fühlen und nicht wie  Penner aussehen und mit abschätzigen Blicken konfrontiert werden.“ Anja wollte mit ihren beiden Kindern eigentlich nur Spielsachen für die Flüchtlinge abgeben. Dann sah sie das Chaos und fasste zu – nun schon den dritten Tag. Inzwischen ist eine gewisse Ordnung hergestellt, aber der Zustrom reißt nicht ab. Und die Helfer werden weniger. Es muss ja auch Essen zubereitet werden, und immer wieder gibt es fragende Blicke der Neuankömmlinge. Wo bekomme ich Schuhe, wo eine dicke Jacke? Man kann helfen – auch ohne Sprachkenntnisse. Die Verständigung geht mit Händen und Füßen, mit ein paar Brocken Englisch und manche können auch ein paar Worte Deutsch. Deshalb sind Wörterbücher Englisch-Deutsch und Arabisch-Deutsch hoch im Kurs. In manchen Ecken sieht man junge Männer, deutsche Wörter lernen. An ihrer Seite ein Helfer. „Europa“ ruft jemand und lacht. Es ist eine große Aufmerksamkeit und Freundlichkeit untereinander. Jedes Hallo wird mit einem Lächeln erwidert. Manche der jungen Araber fassen auch sofort zu, wenn die sortierten Kisten von einem Haus ins andere geschafft werden müssen. Vor allem aber wird mit dem Handy in die Heimat telefoniert, Fußball gespielt und viele kurven mit Rollern und Rädern umher – von denen auch noch welche gebraucht werden – am besten mit Schloss! Auf einen kleinen runden Tisch, der gerade reingekommt, stürzen sich gleich mehrere. Alle wollen ihre Zimmer ein wenig einrichten, freuen sich über kleine Möbel, Nachttischlampen oder Radios. Auch Schachbretter werden nachgefragt. Am besten ist es, in die ständig aktualisierte Refugee-Bedarfliste  (siehe Link unten) reinzuschauen, denn die Nachfrage ändert sich stündlich. Vor allem aber sollte man überlegen, ob man nicht zwei, drei Stunden seiner Zeit abknapsen kann: Jede Hand wird gebraucht und man selbst bekommt die Chance, aus der passiven Fernsehhaltung herauszukommen. Auch für Helfer gibt es eine psychologische Betreuung. Denn die Geschichten, die man hört und in den Gesichtern sieht, bewegen zutiefst. Doch dann ist da das Kinderlachen und die tiefe Dankbarkeit. „Hier gibt es so viele freundliche Menschen“, sagt ein junger Syrer, der schon sechs Monate in Potsdam wohnt und jetzt beim Kleidersortieren mit anpackt und sich über jedes neue deutsche Wort freut. Für „Pullover“ braucht es einige Wiederholungen. Doch er schafft es und wir freuen uns gemeinsam! (he)

Weitere Informationen unter:http://refugeesinpdm.tumblr.com/waswirdgebraucht

Die genaue Bedarfsliste unter:  https://docs.google.com/spreadsheets/d/1BuIzxtfLMwpwbITmwW2AYD3LzKoUJDLSTyGxq5O2AZA/pubhtml

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