Bilder öffnen Türen – auch in die eigene schmerzliche Erinnerung. Anne Heinleins „Geheimes Land“ im Potsdamer Kunstraum geht unter die Haut

Dickicht Döberitzer Heide. Foto: Anne Heinlein

Zwei Soldaten kommen lebensgroß auf den Besucher zugerannt. Der Atem stockt. Man glaubt sich für einen Moment auf einem Schlachtfeld. Beim näheren Hinsehen entpuppt sich die Kampfesansage aber als eine Übung. Für ihre Ausstellung „Geheimes Land“ im Kunstraum Potsdam erkundete Anne Heinlein ehemalige Sperrgebiete der NVA und der Roten Armee. Sie recherchierte in den Akten der Staatssicherheit der DDR, sprach mit Zeitzeugen und durchstreifte die Sperrgebiete. „Dabei lief ich durch dichten Wald, vorbei an Wegen, still gelegten Bahndämmen, über ehemalige Truppenübungsgelände, kletterte in alte, zum Teil verfallene Gebäude und Bunker, um Spuren zu finden. Weitläufige Areale, die wie ein eigenständiges Land undurchdringbar erscheinen.“ So beschreibt die Potsdamer Fotografin ihr Vordringen in unbekannte Welten. Entstanden sind bei dieser Erkundung großformatige, schwarz-weiße Fotografien: geheimnisvoll, mystisch, bedrohlich.

Anne Heinlein

In der Ausstellung sehen wir auch in die Gesichter von Soldaten: verschlossen, kämpferisch, einsam. Der heutige Wahnsinn von Krieg gibt den historischen Aufnahmen neue Nahrung beim Betrachten. Die Ausstellung lässt keine genaue Verortung zu. „Vieles bleibt rätselhaft und diffus. Bilder öffnen Türen und schließen sie wieder. Geschichten sind zu vermuten, ein Gefühl für die vergangene Zeit ist zu spüren“, so die 1977 geborene Künstlerin, die 2016 mit dem Kunstpreis des Landes Brandenburg ausgezeichnet wurde.

Rund zwölf Prozent der gesamten Fläche der ehemaligen DDR waren Sperrgebiete: Betreten verboten! Das wusste jeder DDR-Bürger. Die Folgen konnten fatal sein, wenn man die Warnung nicht ernst nahm. Aber es gab auch Opfer außerhalb dieser Zonen.

Beim Betrachten der eindrücklichen und aufwühlenden Fotografien kommt auch wieder die Erinnerung hoch: an Christa, meine Cousine. Als sie Mitte der 80er Jahre von ihrem Wohnort Hennigsdorf durch den Wald zur Datsche nach Schönwalde fuhr, drang plötzlich eine eisige Kälte in ihren Rücken. Sie saß auf dem Sozius des Mopeds: dicht angeschmiegt an Adi, ihrem Mann. Im Rücken von Christa steckte eine Kugel: abgefeuert von Russen, die einen flüchtigen Soldaten zur Strecke bringen wollten. Sie trafen meine Cousine, die seitdem querschnittsgelähmt bis zu ihrem Tod im Rollstuhl saß. Eine Aufarbeitung dieses Vorfalls gab es nicht. Das Schweigen war groß.

Fundstück. Wer wird diese Mütze einst getragen haben?

Auch für Christa ist diese Ausstellung ein Vermächtnis, das wachgehalten werden sollte: gerade angesichts neuer Kugeln, die unschuldige Menschen treffen. he

Die Ausstellung ist bis zum 15. Dezember im Kunstraum Potsdam, Schiffbauergasse 4D, zu sehen. Geöffnet ist Mittwoch bis Sonntag von 13 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Anne Heinleins  „Geheimes Land“ lässt sich auch im Buch erkunden: erhältlich für 30 Euro. An dem Buch wirkten Julia Schoch und Peter Weiss mit.

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