Nachdem ich Schirachs „Terror“ im Fernsehen gesehen hatte, sank mein Interesse, mir auch noch die Aufführung am Hans Otto Theater anzusehen. Die TV-Besetzung mit Martina Gedeck, Lars Eidinger, Jördis Triebel, Burckhard Klausner, Florian Daniel Fitz ist einfach nicht zu toppen, die Handlung auserzählt, das Votum abgegeben.
Dennoch: Die Karten sind nun mal bestellt, die Verabredung mit der Freundin getroffen … Es wird trotz meiner Bedenken ein bewegender Abend – mit unerwartetem Ausgang.
Ferdinand von Schirachs „Terror“ erzählt von einer Entscheidung, die das menschliche Maß an Verantwortung übertrifft. Darf man 164 Menschen töten, um 70 000 zu retten? Vor dieser Frage stand der Bundeswehrpilot Lars Koch und er entschied sich dafür, die 70 000 zu retten. Das Flugzeug befand sich in der Gewalt eines Terroristen, der damit drohte, es über der vollbesetzten Münchner Allianz-Arena abstürzen zu lassen. Lars Koch war in einer Ausnahmesituation – und schoss das Flugzeug ab. Nun entscheidet das Gericht über ihn – und die Zuschauer richten als Schöffen mit. Jeder einzelne gibt seine Stimme ab: Ist der Angeklagte schuldig oder nicht?
Fühlte man sich schon unbehelligt vor dem Fernseher hin und her gerissen, gerät man sich live in eine noch größere Zwickmühle. Für alle Argumente gibt es ein Für und Wider. Dennoch möchte ich mich nicht herausmogeln.
In der durchaus packenden Darstellung des Stadttheater-Ensembles in der Reithalle vertiefen sich die bereits im Fernsehen gehörten Argumente noch einmal. Auch erwies sich die TV-Diskussionsrunde in „Hart aber fair“ nach der Terror-Ausstrahlung als nachhaltig. So der Satz von Lars Koch: „Jeder trägt doch selber Schuld, wenn er ein Flugzeug besteigt.“ Man wisse doch, dass ein Terrorangriff möglich sei. Daran musste ich denken, als wir zum Wandern nach Mallorca flogen. Andererseits gab es seit dem 11. September 2001 keine tragisch endende Entführung mehr.
Wie dem auch sei: Ich revidierte meine ursprüngliche Meinung und ging im Theater schlussendlich durch die Tür „Schuldig“ – und mit mir weitere 27 Zuschauer. 102 durchschritten die Freispruch-Tür an der anderen Seite.
Warum aber saß Lars Koch auf der Anklagebank und nicht seine Vorgesetzten, die ihn in der Entscheidung allein und das Stadion nicht räumen ließen?
Eine Zuschauerin äußerte ihren Unmut laut. Und bekam von Andrea Thelemann als einfühlsam auslotende Staatsanwältin die schlagfertige Antwort: „Das müssen Sie Herrn Schirach fragen.“
Oder den Gesetzesgeber. „Unser Recht ist nicht in der Lage, jedes moralische Problem widerspruchlos zu lösen“, formulierte es der Richter, den Bernd Geiling überzeugend spielte. Die Gesetze ließen Lars Koch allein. (he)
Die nächste Vorstellung ist am Sonntag, den 13. November, 18 Uhr, in der Reithalle, Schiffbauergasse.
Weiteres unter www.hansottotheater.de