Ich bin gern mit dem Fahrrad unterwegs. Es darf aber nicht in Anstrengung ausarten. Natürlich kämpfe ich mich auch mal einen kleinen Berg hoch, halte dem Gegenwind stand, der ohnehin immer dort aufkreuzt, wo ich gerade bin. Dennoch muss der Spaß überwiegen.
Mein jüngstes Radfahr-Wohlfühl-Erlebnis hatte ich im Oderbruch. Auf einer Route, bestens geeignet für ein Wochenende.
Zuerst ging es mit der Regionalbahn von Potsdam nach Frankfurt (Oder). Der Zug fährt alle 30 Minuten und erreicht das Oderstädtchen nach gut anderthalb Stunden. Es kann also Freitagabend nach der Arbeit losgehen. Wer wie ich lange nicht mehr in Frankfurt war, wird überrascht sein über die nett herausgeputzten Ecken, auf die man mittlerweile flußauf, flussab stößt. Durch die Viadrina gibt es junges studentisches Leben und die Uferpromenade mit dem weiten Blick zur polnischen Seite weitet ohnehin das Herz.
Bevor es am nächsten Morgen auf den Oder-Radweg in die Stille der Natur hinaus geht, sollte Zeit sein, um die Bleiglasfenster in der Marienkirche zu bestaunen. Die rund 600 Jahre alten Fenster waren im Zweiten Weltkrieg ausgebaut worden und kamen als „Beutekunst“ in die Sowjetunion. Inzwischen ist die „gläserne Bilderbibel“ wieder am angestammten Platz und erzählt sehr plastisch (auch am Computer in der Kirche) die Christusgeschichte.
Beim Radeln durch das paradiesische Oderbruch fühlt man den Himmel auf Erden. Alles scheint unberührt. Nur das Surren der eigenen Räder und die Flügelschläge der Vögel sind zu hören. Doch wir sind auf dem Weg zu den Seelower Höhen. Und das Wissen um die Ereignisse vom Winter 1945 fährt mit. Bei Reitwein überquerten vor 70 Jahren die russischen Panzer die Oder. Die deutsche Wehrmacht stellte ihnen ihr letztes Aufgebot entgegen. Tausende Soldaten wurden „verheizt“, ihre Blutlachen färbten das Wasser rot. Ich denke an die Bilder des in Potsdam lebenden Künstlers Armando, der „Schuldige Landschaften“ malt: gefährliche Idyllen, über die das Gras des Vergessens wächst. Vom friedlichen Wasserlauf der Oder und seinen Ufern steigt in Gedanken der Rauch verbrannter Erde auf. In der 2012 neu eröffneten Gedenkstätte sind die Erinnerungen der Soldaten, die zu Kanonenfutter wurden, festgehalten. Von jungen Männern, die nicht älter sind als mein Sohn.
Wir sehen in den Dörfern noch einige Gedenksteine und schließen unsere Räder schließlich beim Hochzeitsmarkt in Reitwein an. Ein skurriles Fest mit langer Tradition und aufgeschlossenen Gastgebern, die sich über unsere Einkehr freuen. Am 19. September laden sie unter ausladenden Linden zum Erntefest.
Nach der Übernachtung im „Brandenburger Hof“ in Seelow mit mäßig gutem Frühstück geht es auf dem Oderbruchbahnradweg weiter Richtung Fürstenwalde. Der ADFC bescheinigt dieser Strecke auf zum Teil stillgelegten Bahntrassen vier Sterne. Und fürwahr: Die Räder surren auf glattem Asphalt durch die Lande – vorbei an Feldern, Wiesen, Störchen und geduckten Oderbruchdörfern mit spitz herausragenden Kirchtürmen. Die Landschaft wird hügeliger, unter uns breiten sich Seen aus. Neben dem Schloss Steinhöfel gibt es dann mit etwas Geduld beim Schlangestehen den ersehnten Kaffee und Kuchen – urig auf Holzbänken unter Obstbäumen.
Als wir nach etwa 90 Kilometern, die wir in zwei Tagen abstrampelten, auf dem Bahnhof in Fürstenwalde ankommen, sind wir zutiefst erfüllt von den so unterschiedlichen Eindrücken. Auf der Rückreise mit dem Regio erscheint uns das Oderbruch wie ein guter alter Bekannter, den wir gerne wieder besuchen möchten. (he)
Weitere Informationen unter www.reiseland-brandenburg.de/themen/radfahren/weitere-fernradwege/oderbruchbahn-radweg.html