Ins Gasometer des Hans Otto Theaters ist der Wilde Westen eingezogen. Allerdings in seinen letzten Zuckungen. Die Helden sind traurige Gestalten, die an der Hüfte statt des Colts einen Handfeger tragen und die sich am liebsten selbst bemitleiden. Das Juchhu des endlich wieder Spielen-Könnens zeigt sich am Donnerstagabend bei der Premiere von „Genie und Verbrechen“ als ein herrlich groteskes Vergnügen mit bitterem Unterton.
Die fünf Darsteller weiden sich an ihrem Rollenfutter, ohne dabei die Charaktere preis zu geben. Der Horizont dieser Figuren ist sprachlich sehr begrenzt und gipfelt fast immer in die sich wiederholenden Ausrufe: Verpiss dich, Scheiße oder Ich bin am Arsch. Das geht mitunter auf die Nerven, wird aber weitgehend wettgemacht durch die tragikomische Zuspitzung. Die Dialoge des englischen Autors George F. Walker steigen hinab in die Niederungen des Lebens, wo die Chancen auf Erfolg gleich Null sind. Und als solche „Nullen“ fühlen sich auch die Kleinkriminellen Rolly und Sohn Stevie, die sich nach einer Entführung der vermeintlichen Köchin in einem abgeranzten Motel versteckt halten. Die Polster der Schlafsofas sind zerschlissen, das Fensterglas verdreckt und schmierig, selbst die leuchtende Inschrift Motel hängt mit drei übrig gebliebenen Buchstaben nur noch müde in den Seilen. Hier nisten sie sich ein: die Dauerverlierer. Motelbetreiber Phillie, der wie ein verlorenes Baby an der Flasche hängt, passt bestens zu seinen Gästen.
René Schwittay als Rolly hat ähnlich wie Egon Olsen einen Plan. Und wird wie immer daran scheitern. Schwittay zeichnet diesen Typen mit liebenswerter Einfalt, zwischen Nettigkeit und bockigem Auftrumpfen. Er kann sich aber auch widersetzen: wenn es darum geht, Gewalt anzuwenden. Trotz aller Selbstaufgabe hat er sich diesen menschlichen Anstand bewahrt. Und den gab er auch an seinen Sohn weiter. Den bringt Paul Sies als nervöser Klemmi mit akkuratem Scheitel und ständigem Zucken im Gesicht auf die von Matthias Müller naturalistisch gestaltete Bühne. Es ist vor allem immer wieder Guido Lambrecht, der seinen Säufer-Phillie mit viel Verve, Cowboy-Attitüden und sportlichem Einsatz herzenswarm brillieren lässt und dem Abend seine Pointen liefert.
Die zwei hysterischen Frauen Shirley (Katja Zinsmeister) und Amanda (Mascha Schneider) übernehmen im permanenten Zickenkrieg die Führung in diesem trostlosen Rachefeldzug, an dem am Ende viel Blut fließt. Die erst gekidnappte, dann als Rädelsführerin auftrumpfende Amanda möchte das Restaurant ihres gehassten Vaters abfackeln: Jetzt geht’s wirklich zu wie bei „Rauchende Colts“. Und wenn sie mit Fahne und ausgestrecktem Arm auf dem Dach des Motels dieses Heer der „Niemands“ hinter sich vereinen möchte, gibt es durchaus Gedanken ans Hier und Jetzt, an die Verlierer, die sich hinter vermeintlichen Heilsbringern versammeln. Und die die Schuld an ihrer Misere gern bei den anderen suchen. Aber auch diese Amanda zeigt Brüche, ist nicht nur der grobe Klotz. Regisseurin Elina Finkel konzentriert sich auf die farbige Zeichnung der Figuren, würzt das Spiel mit originellen Ideen, kann aber dennoch Längen nicht vermeiden. Marc Eisenschink wirft bei dieser sommerleichten Inszenierung die Musik wie ein schwebendes Gewand in die Arena, ohne die Bruchstellen zuzudecken.
Das Theater meldet sich endlich wieder zurück und den Schauspielern ist ebenso wie den Zuschauern die Freude daran deutlich anzumerken. Und die nächste Premiere folgt auf dem Fuße: „Der Diener zweier Herren“ von Goldoni erobert ab Sonntag um 20 Uhr die Seebühne. Es gibt noch Karten. he
Weitere Informationen unter www.hansottotheater.de