Für Krimiobristin Ingrid Noll sind die Morde nur das Sahnehäubchen

Der kühle Grauburgunder schmeckt auch schon zur Mittagszeit und passt zur launigen Lesung von Ingrid Noll. Die große alte Dame der Kriminalliteratur verzichtet für ihren Auftritt bei LIT:potsdam heute mal auf ihre Siesta. Trotz hochsommerlicher Temperaturen kommt die 85-Jährige im Gespräch mit Denis Scheck geradezu in Fahrt. Bevor sie sehr ausgiebig aus ihrem neuen Roman „Kein Feuer kann brennen so heiß“ liest und den vertrackten Bettgeschichten von Altenpflegerin Lorina und ihrem massierenden Frauenverführer Boris die Bühne überlässt, erzählt sie von ihrem eigenen Leben.

Das begann in China. Ingrid Noll wuchs zusammen mit drei Geschwistern als Tochter eines wohlhabenden deutschen Arztes in Shanghai auf, wurde Zuhause unterrichtet. 1949 floh die Familie vor der Machtübernahme durch Mao Zedong mit dem letzten Schiff nach Deutschland. In Bad Godesberg kam Ingrid Noll mit ihren zwei Schwestern ohne Zeugnis an ein katholisches Mädchengymnasium. „Wir fühlten uns in unserer chinesischen Flatterkleidung als völlige Fremdkörper. Wir hatten auch noch nie einen Balken oder Barren gesehen, die reinsten Folterinstrumente.“ Und sie kannten auch nicht die in Deutschland gesungenen Lieder, wie „Auf der Mauer, auf der Lauer“.  Aber Ingrid Noll konnte schreiben. „Meine Aufsätze waren die Rettung aus Todesnot. Sonst wäre ich sitzen geblieben.“, dramatisiert sie in ihrer heiter-zuspitzenden Art.

Bis das Schreiben zu ihrem Beruf wurde, sollten noch Jahrzehnte vergehen. Sie arbeitete in der Arztpraxis ihres Ehemannes mit, versorgte die drei Kinder und pflegte ihre Mutter, die mit 106 Jahren starb. Erst mit 55 hatte sie ihr eigenes Zimmer, fand Muße zum Schreiben. Auf Kindergeschichten folgte der erste Krimi „Der Hahn ist tot“. Der Schweizerische Diogenes Verlag schlug prompt zu. „Mein Mann sagte nur: ,Waren die besoffen?‘“ Offensichtlich nicht, denn inzwischen gibt es 20 Romane und alle aus dem gleichen Verlag. Denis Scheck bekannte augenzwinkernd zu der lebensklugen Autorin: „Ihre Bücher machen mich zum besseren Menschen! Jedenfalls was meine Ehe anbelangt.“ Ja, die Männer sollten sich in Acht nehmen, wenn sie nicht am Ende von ihren tyrannisierten und unterdrückten Frauen erschossen oder erstochen werden wollen. Ingrid Noll hat sie im Blick, weiß um die Kränkungen, die vor den Taten liegen. „Bei mir geht es um ganze Biografien und die paar Morde sind das Sahnehäubchen.“ Aber sie bringt nicht nur Männer um, sie schaut schon auf die Quote. Ich bin ja keine Männerfeindin. Ich habe ja selbst einen. Und auch Söhne.“ Ihre Krimis seien in Wahrheit Menschengeschichten, „Romane, die von mir und dir handeln“, wie Denis Scheck bekennt. Und Ingrid Noll glaubt zu wissen, dass so einige Eltern pubertärer Kinder manchmal daran dächten, ihre Kinder zu ersäufen. Ich weiß nicht, wie viele unter uns sind, die besser im Gefängnis sitzen sollten“, sagt sie schwarzhumorig.

Welche Henkersmahlzeit sie am Ende selber wählen würde? „Hätte ich die Wahl, dann Hummer. Den kriege ich sonst nie. Aber es wird wohl Pudding sein, mit dem ich dann gefüttert werden muss.“

Noch aber ist die taffe Geschichtenerfinderin, die immer wieder Anekdoten und Sprichwörter in ihr bildreiches Erzählen einfließen lässt, voller Tatendrang und Mordabsichten. Sie freut sich, wenn sie sich in ein fremdes Schicksal versenken kann. „Dabei vergeht die Zeit auf märchenhafte Art.“  Und wir ahnen es, dass auch in ihrem neuen Buch am Ende dem Mann ein Messer in die Brust gerammt werden könnte. Oder greift die so tief gekränkte Lorina lieber zur Pistole oder zum Giftfläschchen? „Kein Feuer kann brennen so heiß“ wird es uns verraten. Bei Ingrid Noll wird jedenfalls weiter munter drauf los gemordet. Und welchen Tod würde sie bevorzugen? Gift oder Kugel?  „Die Kugel. Das geht schneller. Aber sie muss sitzen.“  he

Ingrid Nolls Roman „Kein Feuer kann brennen so heiß“ ist im Diogenes Verlag erschienen und kostet 24 Euro

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