Nach diesem furiosen Saisonauftakt müssen wir einfach aus unserem Sommerloch kriechen und wieder zum „Stift“ greifen. Die Kultursegler waren dabei, als am Freitagabend die attraktiven und sportiven Brüder Andreas und Daniel Ottensamer mit ihren Klarinetten ein Leuchtfeuer der Leidenschaft entzündeten. Jung, frech und spritzig präsentierten sich die Wiener Jungs (Jahrgang 89 und 86), die mit ihrem Charme das Publikum sofort an der Angel hatten. Man spürte den Spaß und die Hingabe, die Intelligenz und das Können dieser Sprößlinge einer österreichisch-ungarischen Musikerfamilie. Sie durchlebten die Musik bis in die kleinste Faser ihres Körpers und brachten einen frohgestimmten Mendelssohn-Bartholdy zu Gehör, der ihnen wie auf den Leib geschneidert schien.
Auch Mendelssohns anschließender sinfonischer „Lobgesang“ riss mit: Da gab es viel Pathos, aber auch seelenvoll musizierte Stille. Kammerakademie Potsdam-Chefdirigent Antonello Manacorda liegt dieses Expressive, dieses Alles oder Nichts. Sein italienisches Temperament hält nichts von lauen Lüftchen, bei ihm gibt es tosende Wogen und die kraftspeichernde Ebbe vor der Flut.
Als nach der Veranstaltung Andreas Ottensamer – in dieser Saison Artist in Residence der Kammerakademie Potsdam – die Kochmütze aufsetzte und dem Publikum im Foyer Strudel servierte, erinnerte er damit an den Ursprung des soeben von ihm musizierten Konzertstücks für Klarinette und Bassethorn.
Felix Mendelssohn Bartholdy hatte eine große Schwäche für Dampfnudeln und Rahmstrudel: bayerisch-österreichische Spezialitäten, die der Komponist von seinen Besuchen in München kannte. In Berlin waren sie indes nicht aufzutreiben. Also ließ er sich eines Tages, im Dezember 1832, von den befreundeten Musikern Heinrich Joseph Baermann und dessen Sohn Karl seine Leibspeise aus München mitbringen. Während Vater und Sohn das Gericht zubereiten, komponierte Mendelssohn-Bartholdy als Gegenleistung dieses Konzertstück, das für die Klarinette wohl so etwas ist wie der „Goldene Kochlöffel“.
Klarinette und Wiener Schmäh gab es auch am Samstagabend mit der deutsch-österreichischen Band rund um das musikalische Multitalent Ulf Lindemann alias [dunkelbunt]. In der festlich illuminierten, mit Projektionen und bunt behangenen Wäscheleinen verzierten Wilhelm-Staab-Straße mixten [dunkelbunt] Swing, Klezmer, Balkan- und Latin-Klänge wild mit knackigen Elektrobeats. Nicht erst seit den Erfolgen des österreichischen Kollegen Parov Stelar weiß man, dass diese Mischung aus Elektroswing und World Beat extrem gut tanzbar ist und dabei sowohl die junge Clubgeneration als auch die älteren Semester anspricht. Davon konnte man sich beim Staabstraßenfest beim Blick durchs Publikum durchaus überzeugen. Vor allem die treibenden Saxophon- und Klarinettensoli von Erhan Mamudoski erinnerten an wilde Partys auf dem Balkan mit einen ordentlichen Schuss Slivovitz – da ließ man sich nicht lange bitten. Noch ausgelassener hätte man die musikalische Weltreise von [dunkelbunt] sicherlich mit einigen Dezibel mehr aus der Anlage genießen können. Wenn man sich bei dieser vor allem zum Tanzen gemachten Musik vor der Bühne normal laut unterhalten kann, fehlt tatsächlich der letzte „Bums“. Der guten Stimmung tat das jedoch keinen großen Abbruch. Und schließlich geht die Rücksicht auf die Anwohner der Innenstadt natürlich vor…
Nach der wirklich gelungenen Saisoneröffnung verspricht der Blick in das Programmheft des Nikolaisaals wieder einen spannenden Veranstaltungsmix mit einigen Highlights. Dabei werdet Ihr sicherlich auch hin und wieder vom Kultursegler hören – spätestens zum Konzert von Seeed-Frontmann Dellé mit dem Babelsberger Filmorchester am 22. September. (he, so, ro)
Zum neuen Saisonprogramm des Nikolasaal geht es HIER.
Mehr zu [dunkelbunt] HIER.
Programmhinweis: 24. Januar 2018, Palais Lichtenau: Der KAP-Artist in Resindence, Andreas Ottensamer, spielt das Klarinettenquintett A-Dur von Mozart unter der Überschrift „Sehnsucht!“.