Es ging ihm wie der Plötze Alma. Pierre Sanoussi-Bliss war zu faul, um nachzudenken. Stattdessen drehte er sich von einer Seite auf die andere und ließ sich unter Palmen von der Sonne auf Mauritius bescheinen. Die Urlaubslektüre war längst ausgelesen, alle Killer gefasst. In dieser stumpfsinnigen Langeweile schaute der Schauspieler aus Berlin träge auf die Wellen. Plötzlich sprang ein kleines Meerestier aus dem Wasser und mit ihm eine Geschichte direkt in seinen Kopf. Als wenn er nur darauf gewartet hätte. Seine letzten vier Urlaubstage reichten gerade dazu aus, um diese angespülte Geschichte aufzuschreiben: seinen „Nix“.
Sie führt an den Huch-See, dort wo Kaulquappe Kauli lebt, die kein hässlicher Frosch werden will und davon träumt, eine aus Schaumkronen geborene Nixe zu sein … Auch Paul kommt darin vor. Der Bäckerjunge, der mitten in der Pubertät steckt und fühlt, dass er anders ist als die Anderen. Er hat keine Freunde im Dorf und seine Eltern wissen nicht, wie sie mit ihm umgehen sollen. Als sie sehen, dass sich Paul, der blonde Junge mit den wasserblauen Augen, auch noch seine Zehennägel lackiert, verlieren sie völlig die Fassung.
So wundersam wie das Erwachsenwerden ist auch diese Geschichte, die in pointierter Leichtigkeit und wortgewitzt hineinspült in das ganz normal-verrückte Leben von Teenagern. Pierre Sanoussi-Bliss nahm ihn ernst, diesen großen Weltschmerz, und kleidete ihn in fantasievolle, alltagstaugliche Gewänder – ohne didaktische Belehrung. Vieles ist direkt dem Leben entsprungen, wie der bierselige arbeitslose Angler, manches auch etwas kantig erzählt.
Ich gebe zu, dass ich skeptisch war, als ich das Hörbuch in den CD-Player schob. Bislang kannte ich Pierre Sanoussi-Bliss nur als Kommissar Axel Richter in „Der Alte“ – und da gehörte er keineswegs zu meinen Schauspielerfavoriten. Aber diese von ihm erdachte und gesprochene Geschichte ist durchaus hörenswert.
Dabei war sie eigentlich „nur“ zum Lesen gedacht – und kam 2004 als illustriertes Buch in die Läden. Doch der Verlag betrog Pierre Sanoussi-Bliss um seine Einnahmen und ging bald danach pleite. „Ich kaufte schnell noch 200 Exemplare aus der Konkursmasse.“ Die fanden nach rund 40 Lesungen allesamt Abnehmer – Kinder wie Erwachsene. So bestand die Gefahr, dass der Nix bald vergessen wieder in sein Meeresreich zurückgespült wird.
Zufällig traf Pierre Sanoussi-Bliss seinen ehemaligen Kommilitonen Stephan Dierichs. Und der hat ein eigenes Tonstudio in Babelsberg. Dort las Pierre Sanoussi-Bliss seine Geschichte ein – die man nun seit zwei Wochen als Hörbuch kaufen kann. So einfach und ursprünglich wie möglich wollten es beide haben, keine überproduzierte Sache. So wie die Sprache nicht intellektualisiert ist, gibt sich auch die Form: Wind und Wasserplätschern kommen aus dem Mund von Pierre Sanoussi-Bliss, statt Synthesizer wird Gitarre gezupft. Und die Lieder schrieb und sang der Schauspieler auch selbst.
Natürlich floss die Erinnerung an die eigene Jugend mit ein, dieses Gefühl, ganz allein zu sein in seinem Kummer. Für Pierre Sanoussi-Bliss gehörten Hautfarbe und Homosexualität sicher mit dazu. Doch der „Nix“ engt nicht ein auf Sexualität oder Aussehen. Es geht um Vorurteile und Schubladendenken, um das, was Kinder von den Erwachsenen übernehmen. Und wenn es eine Botschaft gibt, dann diese: Egal, wie anders man ist, gemeinsam schafft man es. Denn es gibt immer auch andere, die genauso anders sind. Und darüber etwas in spritzig-witziger Weise zu erfahren, interessiert 6-Jährige ebenso wie 89-Jährige. In jedem steckt ein kleiner „Nix“. (he)
Der Nix: Eine Geschichte für Kinder und Erwachsene, CD, von
14 Euro (bei Amazon) oder für 12 Euro unter www.tongeschichten.de