Ost oder West? Der gleiche Mief, die gleiche Lust

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Der Osten: Grüne Straße, Wernigerode, 1980 / Foto: Rudi Meisel

Es ist ein heiteres Rätselraten entlang der gefallenen Mauer. Sind wir gerade im Osten oder Westen? Es bedarf schon des genauen Hinschauens, um sicher zu gehen. Die Blümchen-Kittelschürzen könnten ein Hinweis sein. Aber verlässlich sind nur die Bildtitel. Es existierten mehr Gemeinsamkeiten in ost- und westdeutschen Wohnzimmern und an bierseligen Stammtischen beiderseits des Stacheldrahts als man gemeinhin denkt. Die Teilung Deutschlands in Sozialismus und Kapitalismus ließen zwar die Unterschiede in Ideologie, Wirtschaft und Gewohnheiten stetig wachsen. Aber biedere Behaglichkeit, unwirtliche Wohnsiedlungen, den nachbarlichen Schwatz, die jugendliche Rebellion gab es hüben wie drüben. Das zeigt sehr eindrücklich die Ausstellung „Landsleute 1977-1987“ im c/o Berlin mit Arbeiten des westdeutschen Fotografen Rudi Meisel.

Er war immer nah dran am Menschen, immer auf Augenhöhe. Nie hielt er die Kamera verdeckt. Jeder konnte sagen: Nein, ich will nicht abgelichtet werden. Doch Meisel gelang es, die Leute aufzuschließen, ihnen ihre Geschichten zu entlocken. Der 1949 in Wilhelmshaven geborene Folkwang-Schüler war einer der wenigen Fotografen, die mehrmals in die „graue Zone“ fuhren, um auch hier den Alltag einzufangen: neugierig und frei von Polemik. Seine Reportagen wirken unverstellt, auch wenn die Ergebnisse von der Zensur kontrolliert wurden. Aufpasser vom Internationalen Pressezentrum, die ihm immer getreu zur Seite standen, verstanden überhaupt nicht, was er da eigentlich fotografierte: die Menschen am Alexanderplatz und in der Schönhauser Alle oder auch am Marktplatz in Zittau. Es sind zumeist Straßenszenen, leise Beobachtungen, frei nach dem Motto: Das Leben ist kein Abenteuer, sondern Dasein!

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Der Westen: Wildstraße, Essen-Vogelheim, 1977 / Foto: Rudi Meisel

Nach dem Mauerfall beendete Meisel seine bildjournalistischen Exkurse in den Osten. Er wollte keine Leichenfledderei betreiben. Doch bei einer neuerlichen Sichtung seines Schwarz-Weiß-Archivs stellte er überrascht fest, dass seine Bilder aus West- und Ostdeutschland zusammengehören. „Es gab den gleichen Mief im Westen wie im Osten. Nur dass der West-Mief ein paar Chromstreifen hatte, herausgeputzt war.“

Rudi Meisel freut sich, wenn man beim ersten Blick auf seine Werke nicht so recht weiß, woher das eine oder andere Foto stammt – aus der DDR, West-Berlin oder dem Ruhrgebiet. Auf einem der Bilder ist ein Panzer zu sehen, eine junge Frau mit Dauerwelle und bunten Sommerrock berührt die Kettenglieder des Fahrzeugs. Eine Parade in Ost-Berlin, könnte man denken. Aber nein, das Bild zeigt den „Tag der Streitkräfte“ am Großen Stern in West-Berlin 1980.

1980_WB_0218_34_RMD---Str.des 17.Juni am Grossen Stern, Tag der Streitkraefte, Tiergarten, West-Berlin 1980---(DigitaleDunkelkammer2012www.tompflaum.com)
Auch im Westen. Straße des 17. Juni am Großen Stern, Tag der Streitkräfte. / Foto: Rudi Meisel

Erstmals präsentiert das C/O 80 zum Teil nie ausgestellte Fotografien aus dem Gesamtwerk Meisels, der 2014 mit dem Kulturpreis Brandenburg ausgezeichnet wurde. (he)

Die Ausstellung ist bis 1. November im C/O im Amerika Haus, Hardenbergstr. 22 -24, täglich von 11 bis 20 Uhr zu sehen. Eintritt 10/erm. 5 Euro

Weiteres unter www.co-berlin.org

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