Versunken in Trauer. Die Pieta III – eine Farblithografie von Käthe Kollwitz, 1903
Den wenigsten wird sein Name etwas sagen: Willy Kurth. Dabei bewahrte er zahlreiche berühmte Werke der klassischen Moderne vor dem drohenden Verlust durch die Aktion „Entartete Kunst“ der Nazis. Die Sonderausstellung „Die gerettete Moderne. Meisterwerke von Kirchner bis Picasso“ im Kupferstichkabinett Berlin erinnert noch bis zum 21. April an seine stille Heldentat.
Was war passiert? Im Juli 1937 wurden im Kupferstichkabinett, seinerzeit die bedeutendste Sammlung zur Graphik der Moderne in Deutschland, von den Nationalsozialisten über 800 Arbeiten als „entartet“ konfisziert. Dieser Bildersturm traf ebenso rund 100 weitere deutsche Museen mit dem Verlust von insgesamt etwa 21 000 Werken der modernen Kunst.
Dennoch verblieben dem Kupferstichkabinett einige Hundert der verfemten Bilder. Und das, weil der zuständige Kustos Willy Kurth (1881–1963) mit wagemutigen Tricks den Zugriff der NS-Beschlagnahmekommission unterlief. Als es am 14. und 16. August 1937 zu einer zweiten Entzugsaktion kam, gelang es Willy Kurth, besonders wichtige Werkgruppen bedeutender Künstler zu retten. Sein riskanter Einsatz, der im gezielten Austausch von Graphiken bestand, erfolgte heimlich hinter dem Rücken seines sich den Nationalsozialisten gegenüber kooperativ zeigenden Direktors Friedrich Winkler. Auf diese Weise verblieben – oftmals in anderen Bereichen der Sammlung versteckt – hunderte Arbeiten in der Sammlung. Während etwa Künstlerporträts und farbige Graphik gerettet wurden, „opferte“ Kurth viele Landschaftsdarstellungen oder die Werke weniger bedeutender Künstler. So blieben wertvolle Hauptblätter von Ernst Ludwig Kirchner und seinen „Brücke“-Gefährten Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und Otto Mueller, aber auch von Emil Nolde, Max Beckmann, Ernst Barlach, Wilhelm Lehmbruck, Pablo Picasso, Wassily Kandinsky in der Sammlung.
Die Ausstellung veranschaulicht anhand von rund 95 ausgewählten Arbeiten die Leistung von Willy Kurth. Viele von ihm gerettete Werke zählen heute zu den besten der jeweiligen Künstler; wie „Das kärgliche Mahl“ von Picasso. Es zieht den Betrachter tief hinein, lässt ihn Zwiesprache halten mit dem in Melancholie und Verzweiflung versunkenen Paar. Oder die „Pieta“ von Käthe Kollwitz: eine ergreifende Anklage an Krieg und Verlust. Die Ausstellung ist zutiefst bewegend: nicht nur durch ihre Geschichte hinter den Bildern.
„Auf mein Grab schreibt einmal nicht, was ich getan, sondern was ich verhindert habe!“, so die Worte von Willy Kurth. Beigesetzt wurde er 1963 in Potsdam-Bornstedt – jedoch ohne diese Inschrift auf seinem Grabstein. Er nahm seine Heldentat wohl unausgesprochen mit ins Grab. Anita Beloubek-Hammer, langjährige Kuratorin der Moderne am Berliner Kupferstichkabinett, hat sie ausgegraben und nun erstmals umfassend aufgearbeitet.
2023 erschien im Vorfeld der Ausstellung ihr Buch „Die Aktion Entartete Kunst 1937 im Berliner Kupferstichkabinett. Kustos Willy Kurth rettet Meisterblätter der Moderne“ im Lukas Verlag Berlin (40 Euro). Es erinnert an den beherzten Kunstliebhaber, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Leitung der Schlösser und Gärten von Sanssouci sowie eine Professur für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin übernahm. he
Zu sehen ist die Ausstellung bis 21. April 2024 im Kupferstichkabinett Berlin am Kulturforum, Matthäikirchplatz (etwa 10 min zu Fuß vom Potsdamer Platz). Eintritt kostet 14, erm. 7 Euro