Was Gerti Tetzner und ihr Roman „Karen W.“ uns heute noch erzählen. Carolin Lorenz führt in ihrem Autorinnenporträt zurück an den Anfang der DDR

 Karen W. international. Am Frauentag gibt es eine Lesung im Modeatelier Lau

Sie eckte an, widersetzte sich der Staatsnorm und schrieb schließlich auf, wie sie ihren Alltag zwischen Selbstfindung und äußerem Druck bewältigte. Heute ist die Autorin Gerti Tetzner und ihr 1974 im Mitteldeutschen Verlag Halle erschienener Roman „Karen W.“ weitgehend vergessen. Die Potsdamer Autorin Carolin Lorenz möchte durch ihr literarisches Autorinnenporträt „Wir wollten doch ganz anders miteinander leben, als alle früheren Generationen“ diese couragierte Frau wieder in Erinnerung bringen.  Am Freitag, den 8. März um 19 Uhr liest sie im Modeatelier Christin Lau aus ihrer sehr eindrücklichen, in der Zeitschrift „Sinn und Form“ erschienenen Hommage an die 1936 in Thüringen geborene Autorin.

Gerti Tetzner hatte aus Protest gegen den Vater Rechtswissenschaften in Leipzig studiert und auf ein Medizinstudium verzichtet. Als Besitzer eines Bauernhofes hatte der Vater eine Parteigruppe der NSDAP mitgegründet und war eine Zeit lang Mitglied der SS gewesen. Tetzner wollte sich als Tochter dieses Mannes, der 1948 mit unter die Amnestie fiel, in der DDR der fünfziger Jahre politisch deutlich und vor allem richtig positionieren und engagieren. Doch Gerti Tetzner, inzwischen mit dem Hochschullehrer ReinerTetzner verheiratet und Mutter einer Tochter, fühlte sich von ihrem Alltag überfordert und falsch in ihrem Beruf. „Über fünf Jahre hinweg widmet sie sich vor allem ihrer Familie und nimmt von Zeit zu Zeit Hilfsarbeitertätigkeiten in einer Spinnerei und bei der Post an. Verbunden ist dieser Lebensstil für sie allerdings mit einem Gefühlskomplex aus Enttäuschung und Schuld. Eine einfache Kündigung ist für Angestellte im Justizapparat der DDR nicht möglich. Erst als sie immer wieder mit Krankheit reagiert, lässt man sie gehen“, so Carolin Lorenz. Sie beschreibt die Versagensängste der jungen Frau, der vorgeworfen wurde, auf Kosten des Staates studiert und sich danach nicht als würdige Absolventin bewährt zu haben. „Sie beginnt Tagebuch zu schreiben. Das ist der Anfang eines langen, zuweilen lustvollen, zugleich aber auch schwierigen und zähen Prozesses. Der Veröffentlichung des Romans ,Karen W.‘ gehen zehn Jahre Arbeit am Manuskript voraus.“

Der mehrfach in der DDR aufgelegte Roman erschien auch im Westen, im Luchterhand Verlag. Der Kritiker Fritz J. Raddatz brachte 1975 in der Süddeutschen Zeitung Tetzners Erstling in die Nähe zu Christa Wolfs „Nachdenken über Christa T.“ Auch Vergleiche mit Brigitte Reimanns „Franziska Linkerhand“ wurden angestellt. Der autobiografisch gefärbte Roman erzählt vom Muttersein und Trennung, von Angst und Zuversicht und auch von der Hilfsarbeit der einstigen Juristin in der Spinnerei.

So schrieb Gerti Tetzner: „Mit beiden Armen Rohbaumwolle zusammenraffen, das Zeug in eine fahrbahre Kiste stopfen, selber ‚reinsteigen, alles feststampfen, die Kiste zur Ballenpresse schieben. Oder stundenlang am Förderband stehen und mal hingreifen, wo die dreckige Watte geklumpt lag. Oder Zwirnsrollen wegtragen und leere Spulen zurück zu den Frauen an die Maschinen. Oder für den langen Otto Zigaretten holen. Denn ich gehörte zu keiner bestimmten Maschine, Hilfsarbeiterin war nun mal Lückenschließerin hier und da und dort. Ich hatte nicht gewußt, daß  solche Art Arbeit immer noch getan werden mußte, denn früher hatte ich manchmal gesagt, ,den schicken wir in die Produktion zur Bewährung‘, und damit hatte ich das Problem als gelöst betrachtet.“

Carolin Lorenz konstatiert in ihrer sehr lesenswerten Analyse zum Thema Frau- und Muttersein: „In diesem Rückblick kommt sie zu Erkenntnissen, die in der sogenannten Frauenliteratur der siebziger Jahre, zu der „Karen W.“ in Ost und West gezählt wird, eher unüblich sind: ,Solche Formeln, daß eine Frau als Mensch zwischen Scheuereimer und Gasherd zusammenschrumpfe und im Grunde nicht arbeite, wenn sie nur Frau und Mutter ist, weil ja ihr Leben – von außen gesehen – keinen ökonomischen oder sonst wie abrechenbaren Nutzen hat, solche Formeln bin ich wirklich von innen her losgeworden (…)‘. Solch eine Sichtweise stellt besonders in der DDR dieser Jahre eine große Provokation dar, wo der Emanzipationsgedanke selbstverständlich beinhaltete, gleichzeitig – möglichst mehrfache – Mutter zu sein, geistige und sexuelle Partnerin für den Mann und Vollzeit erwerbstätig zu sein. Karen hingegen lässt sich auf die Langsamkeit und die Sichtweise ihres Kleinkindes ein.“ Es lohnt sich, noch einmal in diese Zeit einzutauchen und durch das facettenreiche Porträt von Carolin Lorenz dem kurvenreichen und eigenständigen Leben von Gerti Tetzner und ihrer „Karen W.“ zu folgen. he

Lesung am Freitag, den 8. März um 19 Uhr im Potsdamer Modeatelier Christin Lau, Benkertstraße 12. Eintritt ist frei. Unterstützt wird die Veranstaltung durch den Brandenburgischen Literaturrat aus Mitteln des MWFK

Der Roman ist noch käuflich zu erwerben auf der Online-Plattform für gebrauchte Bücher: https://www.zvab.com

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