Pfeifend durch den Herbst des Lebens: In „Harold und Maude“ brilliert Rita Feldmeier in ihrer letzten großen Rolle am Hans Otto Theater

Der Rock'n' Roll des Lebens: Rita Feldmeier und David Hörning in Harold und Maude. Foto: Jauk

Sie pfeift auf Scheinmoral, jodelt auf dem Hochsitz eine Hymne auf das Leben und die Liebe. Auch mit 80 schillert das Glück noch bunt wie eine Seifenblase. Und wenn sie zerplatzt? Macht nichts: der Moment hat sich dennoch gelohnt. Rita Feldmeier spielt am Hans Otto Theater in „Harold und Maude“ die couragierte Menschenfreundin Maude und macht damit nicht nur sich selbst ein großes Geschenk. Der Vorhang öffnet sich nach 44 Jahren nun zu ihrer letzten Spielzeit: Das Publikum feiert sie!

Viele kennen den Kultfilm von Hal Ashby aus dem Jahr 1971 mit Oscar-Preisträgerin Ruth Gordon. Mir ist vor allem die Inszenierung von Günter Rüger in Erinnerung geblieben, in der Gertraud Kreißig an der Seite von David Emig in der längst entsorgten Blechbüchse Am Alten Markt über Starrsinn und altbackene Konventionen hinwegschaukelte. 17 Jahre ist das her – die Bilder sind unvergessen. Rita Feldmeier spricht nun mit der gleichen Herzenswärme und Sinnlichkeit zu ihrem Publikum, strahlt noch mehr kraftvollen Widerstand und jugendlichen Pep aus: mit Rucksack und gelben Stiefelletten stapft sie furchtlos und unbeirrt durch das Minenfeld von Verrohung und Wegducken. Sie gräbt das kränkelnde Bäumchen am Straßenrand aus, um es in besserer Luft gedeihen zu lassen. Dafür lohnt es sich auch, das Auto des Pfarrers zu knacken. Dem in seinem engen Zookäfig dahinvegetierenden Leguan schenkt sie in Waldes Natur ebenfalls die Freiheit. Sie spricht nicht über Veränderung, sie verändert. Und wenn ihr die Polizei mal wieder in die Quere kommt, schüttelt sie furchtlos ihre kurze freche Lockenpracht. Sie ist eine Anarchistin im besten Sinne, eine Pippi Langstrumpf im Herbst ihres Lebens. Auf dem Friedhof, auf dem sie so gerne an Trauerfeiern teilnimmt, trifft sie einen Gleichgesinnten: auf Harold. Auch er rebelliert: gegen das eigene Gefängnis, das von seiner Mutter mit hohen Mauern errichtet wurde. Seine inszenierten Selbstmorde, in der er in einer Wanne verbrennt, am Strick baumelt oder sich den Kopf abtrennt, sind wie verglühte Leuchtraketen: von der selbstherrlichen Mutter (Bettina Riebesel) ungesehen. David Hörning spielt an der Seite von Rita Feldmeier diesen verdrucksten Jüngling mit überzeugender Verklemmtheit und leiser Widerborstigkeit: Gern schaut man zu, wie er an der Seite von Maude aufblüht, ihr zum zärtlichen Liebhaber wird. Während die anderen Figuren in dieser schwarzen Komödie in der Regie von Intendantin Bettina Jahnke in ihrer Überzeichnung eher Karikaturen bleiben, heben sich Rita Feldmeier und David Hörning angenehm ab: Sie drehen in ihrem vereinten Sein allem aufgesetzten Schein eine lange Nase.

Die Bühne von Matthias Müller dreht sich zwischen diesen beiden Welten: zwischen den weißen Stilmöbeln aus Harolds glanzlosem Heim und den fläzigen geklauten Matratzen von Maude zwischen den selbstgemalten farbenfrohen Bildern und der selbstgebauten Vogelfütterungsmaschine.

Die 65-jährige Rita Feldmeier brilliert als lebenshungrige, lebensweise Maude, die sich das Heft ihres Tuns nicht aus der Hand nehmen lässt. Sie zeigt ungehemmt ihre Gefühle, bei der sich Lachen und Weinen immer wieder paaren. Einmal mehr besticht diese großartige Schauspielerin durch ihre so geerdete Spielweise. Rita Feldmeier versteht es, in ihre Figuren hineinzukriechen, sie aufzubrechen, sie atmen zu lassen. Viele große Rollen hat das Potsdamer Publikum der gebürtigen Rostockerin zu verdanken: ihre Lola Blau, die Marlene und Knef in der Regie ihres Ehemannes Achim Wolff. In der Villa Kellermann spielte sie im Solo eine Drogenabhängige, war im Palais Lichtenau „Frau Jenny Treibel“ (alternierend mit Katharina Thalbach und keineswegs schlechter), ging in „Fisch zu viert“ ans Theater am Kurfürstendamm fremd, als ihr das eigene Haus in Potsdam unter Tobias Wellemeyer zu wenig Spielfutter bot. Die jetzige Intendantin erkannte sofort die Spielkraft und Freude von Rita Feldmeier, ihr schwereloses Wandern zwischen Komödie und Tragödie, dieses Ausblenden von Theaterfinessen. Sie zeigt in ihren Figuren, wie sie das Leben hautnah packt – fern aller Gefühlsduselei.

Unter Bettina Jahnkes Ägide spielte Rita Feldmeier in „Occident Express“ die aus dem Irak fliehende Haifa, die um ihr kleines Glück tanzende Stasia in „Das achte Leben“ – und jetzt in eigener Regie die Maude. Als Bettina Jahnke ihr beim Premierenapplaus ein Küsschen auf die ergrauten Schläfenhaare gab, sprach das von der großen Verehrung für diese Schauspielerin: für Potsdams Publikumsliebling. he

Die nächsten Vorstellungen sind am 15. November um 19.30 Uhr, am 1. und 22. Dezember um 17 Uhr, Hans Otto Theater, Schiffbauergasse

Weiteres unter www.hansottotheater.de

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