Im Durchschnitt verbringt heute jeder 2,5 Stunden am Tag im Internet. Tendenz steigend. In der „Netzwelt“ der US-Theaterautorin Jennifer Haley, die am Freitag in der Reithalle des Hans Otto Theaters vorgestellt wurde, führt dieser Trend bald dazu, dass die Realität, die echte Welt, immer weniger relevant ist. Die Gesellschaft spielt sich vor allem im virtuellen Raum ab, in unzähligen neu erschaffenen Realitäten. Im Netz wird gelernt, gearbeitet und gelebt. Und es gibt in der Netzwelt diesen einen exklusiven, kryptisch geschützten Ort für Eingeweihte, die dort in virtuellen Rollen ihren ganz speziellen Begehren nachgehen können: das Refugium. Die Kunden kommen „für Erfahrungen, die sie in der Realwelt nicht machen können“, wie es der Refugium-Erschaffer Mr. Sims (gespielt von Michael Schrodt), von allen nur „Papa“ genannt, ausdrückt. Es geht dabei um das Ausleben von Trieben. Fernab jeglicher physischer und vor allem moralischer Barrieren bietet das Refugium für alle Fantasien – seien sie noch so abgründig und extrem – den virtuell perfekt inszenierten Rahmen im Schutze der Anonymität. Das Ergebnis: Sex, Pädophilie, rohe Gewalt.
Im Zentrum dessen steht Mr. Sims wertvollste virtuelle Kreation: Iris (Marie Fischer, am Premierenabend grandios vertreten durch Juliane Götz). Im Tüllkleidchen (Kostüm: Anneke Goertz) ist sie das Klischee eines unschuldigen Mädchens. Sie lässt das Geschäft brummen. Männer, bzw. deren virtuellen Abbilder, begehren sie und leben sich bis zum Äußersten an ihr aus. Mit reinem Gewissen. Tatsächlich zu Schaden kommt ja niemand und Konsequenzen sind nicht zu befürchten.→ weiterlesen