Die Macht der Anonymität – „Insight Men“ beim unidram­-Festival

Ohne Identiät: "Insight Men" von "AnonymoUS" beim unidram - Foto: promo / AnonymoUS
Ohne Identität: „Insight Men“ von „AnonymoUS“ beim unidram – Foto: promo / AnonymoUS

Wir sitzen zusammen in einer Gruppe auf der kleinen Zuschauertribüne. Niemand kennt den anderen. Und nicht nur das: Wir können uns nicht einmal voneinander unterscheiden, denn alle sehen komplett identisch aus. In Overalls und den zum Symbol gewordenen Guy-Fawkes-Masken sind wir alle gleich, anonym.

Diese Anonymität, die die Gruppe „AnonymoUS“ beim diesjährigen unidram-Festival im Laufe ihrer Performance per Anweisung auch im Publikum erreicht, ist einerseits befremdlich, andererseits hat sie auch etwas Verlockendes. Das wird dem Besucher in diesem Moment deutlich vor Augen geführt: Man kann tun und lassen, was man will, man kann sprechen und schweigen, wie man will. Keine Tat und kein Wort (ob wahr oder unwahr) wird mit dem eigenen Gesicht, der eigenen Person in Verbindung gebracht. So verschwindet mit einem Mal die Hemmung, in einer Gruppe völlig fremder Menschen persönliche Details und Geheimnisse preiszugeben oder sich ohne die Gedanken über das, „Was denken die Anderen über mich“, durch den Raum zu bewegen. Hinter der Maske findet sich potenziell der Mut, sich wahlweise zum Deppen zu machen oder aber für Dinge einzustehen, in Kämpfen, die man sonst nur aus der Distanz beobachtet. So entsteht eine ganz eigene, spannende – aber zuweilen auch gefährliche – Dynamik.→ weiterlesen

Weich gebettet im Meer des Lichts

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Erleuchtet. Töne werden zu Licht. Die Installation im Kunsthaus zieht vor allem Familien an.

Das Licht breitet sich wie eine warme Dusche über dem Körper aus. Es ist ein sanftes, ein wohliges Gefühl, das im Wechsel der Farben wegträumen lässt. Betty Rieckmanns Lichtinstallation „taming the light“, die unter dem Gebälk des Kunstraums aufragt, entführt in eine Welt der Magie, die der Besucher mit eigener Hand ausmalen kann. Er setzt sich einfach ans Keyboard und mit seinem Spiel verändern sich die Farben. Töne werden zu Licht und wechseln mit den Oktaven. Man muss kein großer Meister sein: Auch eine laienhafte Improvisation schwingt sich zum Zauberstab auf.→ weiterlesen

Das Fremde in uns – die Vocalise nähert sich einem großen Thema auf leise Weise

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Bei der Vocalise 2015, die am 5. November beginnt, geht es nicht um den Blick auf Andere, sondern auf uns selbst: auf unsere eigene Kultur, die wir sehr schätzen und die uns dennoch manchmal fremd ist.

Allerorts sind wir von dem Thema Fremdheit umzingelt. Pegida-Aufmärsche machen uns wütend, hitzige Talkrunden in den Medien müde. Wir unterschreiben Petitionen gegen Fremdenhass, spenden Geld und Kleidung, erwägen eine Patenschaft – und schauen zugleich verstohlen auf die so anders aussehenden Menschen unter Kopftüchern und langen Gewändern, denen wir in Potsdam mehr und mehr begegnen. Ist dieser Fremde auf der anderen Straßenseite „nur“ Flüchtling oder führt er gar Böses im Schilde? Der Glaube an das Gute im Menschen, auch in uns selbst, wird auf die Probe gestellt und verlangt Vertrauen.

Auch in der „Vocalise“, dem traditionellen Vocalfestival des Herbstes, geht es um das Fremde. Allerdings nicht um Syrer oder Afghanen, unsere neuen unbekannten Nachbarn. Nein Ud Joffe, der künstlerische Leiter der Vocalise, möchte vor allem das Fremde in uns selbst hinterfragen: auf eine unaufgeregte, subtile Weise.→ weiterlesen

Märchenhaft schön – „Nathan der Weise“ in der Französischen Kirche

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Jude und Muslim werden Freunde: Teo Vadersen spielt den reichen und weisen Nathan (r.), Martin Molitor den offenherzigen Sultan Saladin.                 Foto: Poetenpack/Constanze Henning

Dieser Ring ist von feinstem Schliff, facettenreich schillernd, rund und märchenhaft schön. Teo Vadersen lässt als Nathan der Weise jedes Wort aus der Ringparabel vorsichtig im Mund zergehen. Nachdenklich streicht er seinen Bart, tastet sich vor wie eine Katze um den heißen Brei. Er lässt sich Zeit, wägt ab und lässt blitzgescheit eine Geschichte entstehen, die zutiefst ergreift: Die Geschichte des Vaters und seiner drei streitenden Söhne, die gleichnishaft für die sich streitenden Religionen in der Welt steht. Welche nun ist die wahre?

Die meisten Zuschauer, die dicht gedrängt um die Bühne in der Französischen Kirche sitzen, kennen Lessings Lehrstück sicher noch aus der Schule. Doch wenn sie wie in der Inszenierung von Andreas Hueck und in dem blutvollen Spiel Teo Vadersens so plastisch vor Augen geführt wird, ist sie wieder ganz neu: zupackend und hoch aktuell. Dieser Jude Nathan hat Schlimmes erlebt und sich doch das Wichtigste bewahrt: seine Menschlichkeit.→ weiterlesen