Weggesperrt in Stalins Lagern. Grit und Niklas Poppe erinnern an Leidensgeschichten unschuldig verurteilter Jugendlicher nach der NS-Zeit

Wie oft bin ich schon an dieser Villa in der Geschwister-Scholl-Straße 54 vorbeigelaufen: mit neugierigem Blick auf die riesige, goldschimmernde Skulptur im Garten des Beratungsunternehmens. Der monumentale Stein klafft in der Mitte auseinander, leuchtet irritierend aus dem Spalt heraus. Erinnert er auch an die dunkle Zeit, als dort in kalten Kellerräumen minderjährige Gefangene geschlagen und drangsaliert wurden? Erst jetzt, nachdem ich das aufwühlende Buch „Verschleppt, verbannt, verschwunden“ der Potsdamer Autorin Grit Poppe und ihres Sohnes Niklas Poppe gelesen habe, kommt mir dieser Gedanke. Ich wusste nicht, was sich dort in der beschlagnahmten Villa Herzfeld, die zuvor dem Verlag Rütten & Loening gehörte, nach 1945 zugetragen hatte: in der Sowjetischen Besatzungszone mitten in Potsdam.

Die Autoren: Grit und Niklas Poppe

Soldaten mit Maschinenpistolen holten Schüler ab, sperrten sie weg, schlugen sie, verurteilten sie sogar zu Tode. So wie Hermann Schlüter, dem zu Unrecht vorgeworfen wurde, der illegalen Organisation „Werwölfe“ anzugehören, die es in Potsdam gar nicht gab. Während sein Todesurteil später aufgehoben und in 20 Jahre Arbeitslager umgewandelt wurde, kehrte sein Mitschüler Joachim Douglas nicht mehr nach Hause zurück. Der begabte Junge, der Dirigent werden wollte, wurde am 18. April 1946 im Alter von 17 Jahren ermordet. Der Ort der Hinrichtung ist bis heute unbekannt. Margot Bonk, seine vor einem Jahr verstorbene Schwester, erzählte von der Ungewissheit, die sich wie eine bleierne Decke über die Familie legte, als Joachim am Heiligabend zum Verhör musste und für immer verschwand.

Bewegend beschreiben die Autoren, was sich in Stalins Lagern und Gefängnissen abspielte: in Potsdam, Bautzen, Hoheneck oder im fernen Sibirien. Die Geschichten sind nicht neu, auch in Zeitungsartikeln wurde darüber berichtet. Doch hier, in diesem dokumentarischen Band, werden die Schicksale sehr lebendig, gehen tief unter die Haut. Man kann sie nur nach und nach lesen, zu sehr bedrängen sie in ihrer Tragik und Unmenschlichkeit. Den Gefangenen wurde auf brutalste Weise ihre Würde genommen.

Diese Lebensgeschichten basieren auf stundenlange Interviews, die der Dokumentarfilmer Dirk Jungnickel im Auftrag des Vereins der Gedenk- und Begegnungsstätte des ehemaligen KGB-Gefängnisses in der Potsdamer Leistikowstraße führte. Grit und Niklas Poppe haben sie verdichtet, für jeden nachlesbar, nacherlebbar gemacht. Sie sollten unbedingt heutigen Potsdamer Schülern erzählt werden. he

Das Buch „Verschleppt, verbannt, verschwunden – Deutsche Kriegsjugend in Stalins Lagern und Gefängnissen“ von Grit und Niklas Poppe hat am 7. November um 20 Uhr Buchpremiere: im Brandenburgischen Literaturbüro, Villa Quandt, Große Weinmeisterstr. 46/47, Potsdam. Es ist im Mitteldeutschen Verlag erschienen und kostet 28 Euro

2 Kommentare

  1. Liebe Kultursegler, ich habe gerade Heidis Beitrag zum Buch von Grit und Niklas Poppe gelesen. Auch ich wußte nicht um die Geschichte der G.-Scholl-Str 54. Auch wenn ich nicht eure Anregungen im Einzelnen wahrnehmen kann, so ist doch eure Schilderung jedesmal ein Wissensgewinn und anregende Unterhaltung für mich. Ich möchte Danke dafür sagen und euch immer frischen Wind auf den Segeln wünschen. Eure Sonja

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert