Wo Bücher zum Ausschank dazu gehören: im Fläming-Gasthof Moritz in Rädigke

Die Treppe endet am Stillen Don. Dieses Meisterwerk von Scholochow liegt auf der obersten Stufe. Unter ihm schmiegen sich unzählige andere Bücher aneinander. Die Treppe dient nicht dazu, ins nächste Stockwerk zu gelangen, sondern um Literatur zu präsentieren. Diese Bücher sind keine staubfangende Dekoration, sondern zum Ausleihen bestimmt. Kostenlos. Wir befinden uns in Deutschlands erstem Bibliotheksgasthof: bei Familie Moritz in Rädigke – inmitten der Fläming-Hügel.

Der Vierseithof der Familie Moritz.

Der Chef des Ganzen, Bernd Moritz, bewirtschaftet den Vierseitenhof in elfter Generation, ein Mann wie ein Baum und von raumgreifender Ruhe. Während um ihn herum eine Gruppe junger Leute einen 30. Geburtstag feiert und unter dem Kronleuchter im Lesesaal schwoft, sitzt er mit uns gemütlich am Stammtisch und erzählt vom 30-jährigen Krieg, seit dem seine Familie auf diesem Hof nachweisbar ist, von der Neuordnung des Dorfes 1856 und schließlich über einen Landwirt in der Nachbarschaft, der Probleme mit den Behörden hat, weil er seine Ställe erneuern und etwas erweitern will. Dann kommt er auf die nächste Veranstaltung in seinem Haus zu sprechen: mit Stephan Krawczyk, dem einstigen Bürgerrechtler der DDR, der am 1. März Lieder zur Klampfe singt. Auch Bestsellerautorin Adriana Altaras ist schon auf der Tafel im Gastraum vorgemerkt  (22. März), wie auch Friedrich Schorlemmer, der mal wieder aus dem nahen Wittenberg vorbeikommt, um am 20. September über sein Buch „Absturz in die Freiheit“ zu sprechen.

Eine Bibliothek wie keine andere.

Bernd Moritz ist mit seinem Leben zufrieden. „Uns geht’s doch gut“, sagt er und setzt sich schließlich rüber zum Nebentisch, wo nun auch seine Frau erschöpft die Beine ausstreckt, die bis eben noch die Gäste umsorgt und mit ihrem leckerem Frikassee bekocht hat. „Sie ist der eigentliche Bücherwurm im Hause“, sagt Bernd Moritz. Er wühlt sich lieber durch alte Kirchenakten, um die Welt von heute besser zu begreifen. Überall zwischen den Bücherregalen und an den Stalltüren im Hof sind Zitate zum Nach- und Weiterdenken zu lesen: „Das Einfache ist nicht immer das Beste, aber das Beste ist immer einfach“, steht da geschrieben und scheint eine Lebensmaxime der Moritz-Familie zu sein.

Wer lieber laufend durch die herrlich bewegte Landschaft ins Philosophieren kommen möchte, der geht einfach einmal ums Dorf. Da stolpert er förmlich über Fontane, Brecht oder die von Arnims. „Denn Bücher lesen heißt Wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne“, schrieb Jean Paul. Auch sein Zitat ist auf einem der vielen Findlinge zu lesen, für die die Töpferei Heinitz aus Görzke Keramikfliesen beschriftete. 2011 wurde der Literaturweg eingeweiht, zum 5-jährigen Jubiläum der „Fläming-Bibliothek“, die fleißig von einem in Rädigke wohnenden Mitarbeiter des Berliner Fischer Verlages mit bestückt wird und inzwischen mehr als 4000 Bücher zählt. Ehrenamtler verwalten den papiernen Schatz.

„Rentnerweg“ wird der 2,5 Kilometer kurze Nach-Denk-Pfad liebevoll genannt, der durch Wiesen und Wald entlang des Planetals führt. Und am Gasthaus Moritz wieder endet. Dort frohlockt nicht nur das „Fläming Pils“ zur Einkehr. Wer danach nicht mehr fahren will, findet auch ein weiches Bett in „Feldscheune“, „Gänsegarten“ oder „Kornfeld“: mit Blick auf Taubenhaus und das Hofmuseum mit Landmaschinen im Ruhestand. Das Ehepaar Moritz gönnt sich indes noch nicht den Schaukelstuhl. he

www.gasthof-moritz.de

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