„Alle waren scharf auf Corinna“. Ostdeutsche Filmstars erinnern sich

Der „Heiße Sommer“ erweist sich nur noch als lauwarm. Auch bei der Komödie „Wie füttert man einen Esel“ ermüde ich auf halber Strecke – trotz Manfred Krug in der Hauptrolle und Renft, der Lieblingsband meiner Jugend, im Live-Auftritt. Die Liebesdramatik von „Paul und Paula“ packt mich indes erneut, auch der so herrlich aufmüpfige Manne Krug-Brigadier Balla in „Spur der Steine“ altert nicht. Das bunt zusammengeschnürte und sehr sehenswerte DEFA-Geburtstagspaket in der ARD-Mediathek, das leider zum Teil schon wieder entschwunden ist, spült viele Erinnerungen hoch. Und wer sie untersetzen möchte mit Wissen aus erster Hand, der sollte zu dem druckfrischen Buch „Im Gespräch. Knut Elstermann befragt ostdeutsche Filmstars“ greifen.

Elstermann, bekannt als Kino-King Knut, dem kein Film der DEFA entgangen ist und der den Kleinen Muck wohl an die 50 mal gesehen hat, weiß zu fragen, nachzuhaken, sich einzufühlen. Und die Stars, die in der DDR nie so hießen, geben ihm Auskunft: unverkrampft, ganz persönlich. Dieser im be.bra-Verlag erschienene Gesprächsband rollt über 30 bekannten Filmleuten, die mit der DEFA verbunden waren, noch einmal den roten Teppich aus: ein Destillat aus Interviews, die Elstermann in den vergangenen Jahren fürs Radio führte, im Filmmuseum moderierte oder bei aktuellen Gesprächen extra fürs Buch notierte.

Kompetent und einfühlsam: Knut Elstermann schafft Nähe zu Filmgrößen

„Bei Knut Elstermann sind sie alle in besten Händen. Seine Gespräche sind nicht nur von Kompetenz getragen, sondern auch von Empathie, Wärme und großer Neugier“, schreibt Andreas Dresen im Vorwort. Auch er wäre eigentlich DEFA-Regisseur geworden. Das war sein Traum, mit der „schönen Festanstellung auf Lebenszeit“. Doch davor stand der Mauerfall und das Ende der DEFA mit seinen 2000 Mitarbeitern. In dem Buch bekommen die prominentesten von ihnen Gehör, die, die es auch nach der Wende schafften, ihr Gesicht weiterhin zu zeigen, andere, die mit dem Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, resignierten. „Uneingeschränkt und leidenschaftlich liebe ich die Schauspielerinnen und Schauspieler der DEFA. Wenn es so etwas wie einen DEFA-Studiostil gab, dann wurde er von ihnen geprägt, vom klugen Spiel dieser gut ausgebildeten, mitdenkenden Darsteller“, bekundet Knut Elstermann seine ungeteilte Sympathie.

Wie für die feinnervige Corinna Harfouch, die von ihrem Beruf sagt: „Wir haben die Aufgabe, dieses Leben in Bewegung zu halten.“ Sie tat es in „Die Schauspielerin“, ihrem ersten Film, und auch 2004 in „Der Untergang“ in der so schwierigen Rolle der Magda Goebbels, die ihre sechs Kinder vergiftet hat. Nach dem Dreh musste Corinna Harfouch lange weinen. Sie war vollkommen leer. Die NS-Zeit ist ein Lebensthema von ihr. Sie könne nicht in eine der Fernseh-Spielshows gehen, sagt sie. Gerade sei ihr eine angeboten worden, für sehr viel Geld. „Das würde ich als einen Verrat an mir empfinden.“

Der schlaksige, hochgefeierte Paul, alias Winfried Glatzeder, mutete sich den Dschungelcamp zu. „Es war meine Hoffnung, dass die Produzenten wenigstens erfahren, dass ich noch lebe.“ Was dann auch passierte, es folgte ein ZDF-Film. Glatzeder, der Mann mit der malerisch zerschlagenen Nase, nahm den Ruhm seiner Paul-Figur in dem legendären Heiner Carow-Film für sich an. Er spricht noch heute gern darüber. Anders als Angelica Domröse. Nur ungern erinnert sich Elstermann an ein Filmgespräch mit Glatzeder und Domröse, das er moderierte. „In Sekundenschnelle gerieten beide in einen heftigen Streit, dessen Anlass mir schon damals nicht ganz klar wurde. Es waren wohl die Abwehrkämpfe von Angelica Domröse, ganz von dieser Paula vereinnahmt zu werden.“ In dem Gesprächsbuch fehlt diese großartige Schauspielerin, aber natürlich nicht in der ungerahmten Ehrengalerie der DEFA. In dem Buch reihen sie sich aneinander und setzen auch hier ganz eigene Glanzlichter auf: Jutta Hoffmann, die risikofreudige kompromisslose Schauspielerin, die heute in Potsdam lebt und von der DEFA als „die schöne Scheintote“ spricht. Oder Renate Krößner, die unvergessene Solo Sunny, deren Lied und Augenaufschlag zu den sehnsuchtstiefsten Schluchzern der DEFA-Geschichte gehören.

Auch Kathrin Sass kommt zu Worte, diese ruppige Schauspielerin, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Dreharbeiten zu ihrem so beeindruckenden Filmdebüt „Bis dass der Tod euch scheidet“ sei für sie der blanke Gräuel gewesen.  Sie erinnert sich an den radikalen Regisseur Heiner Carow, der ihr die Rolle gewissermaßen reingeprügelt hatte. Auch ihre Alkoholkrankheit, an der sie beinahe „jämmerlich verreckt“ wäre, thematisiert sie. Ihre Ängste vor der Wirklichkeit, vor den Lehrern, vor dem Druck. Sie hat sich nicht unterkriegen lassen. „Aber alles war richtig.“

Jutta Wachowiak, die nicht nur als „Verlobte“ unvergessen ist, spricht in dem Interview von ihrem Sendungsbewusstsein. Sie versuchte immer, ihre Rollen vor zu schnellen Bewertungen zu schützen. Ihr ging es um die vielen Facetten einer Figur. Da gab es nicht nur die Dumme, die Gute, die Schöne. Eine Figur sei wie jeder Mensch aus hundert verschiedenen Zutaten gebacken. Die Genauigkeit des Spiels war eine der großen Tugenden der ostdeutschen Filmstars. Jutta Wachowiak war im Kino oft die Tapfere mit Schürze, die sich durchschlägt, „solche Durchschnittspersonen, die ja schwer zu spielen sind“. Sie gab ihnen Wahrhaftigkeit. Die große Mimin des Deutschen Theaters trat in den 90-ern von der Bühne ab, wurde krank.  „Mich hat die rigorose Verurteilung nach dem Umbruch so furchtbar getroffen, diese Abwesenheit von irgendeiner Genauigkeit im Einschätzen von Leuten und von Biografien.“ Sie schaffte es schließlich, sich wieder einigermaßen herzustellen, spielte am Bochum Theater und auch wieder am DT: energiegeladen auf kleiner Bühne in „Jutta Wachowiak erzählt Jurassic Park“.

Jedes Gespräch in diesem hochspannenden Buch öffnet andere Türen zu dem DEFA-Koloss, der die geliebt-gehasste Heimat einer hochqualifizierten Künstlergilde war. Manche verließen diese „Heimat“, wie Glatzeder, der sie als Verhinderungsanstalt vieler interessanter Projekte bezeichnet. Oder Regisseur Egon Günther, der auch der DDR experimentelles Kino abrang, aber schließlich doch die größeren Freiräume jenseits der Mauer suchte. Dennoch war es ihm „nicht koscher, dass man dieses DEFA-Studio dermaßen schleifen musste, durch den Antritt der neuen Herren.“

Knut Elstermann spürt in den Gesprächen den Leerstellen und Widersprüchen, den Höhenflügen und Abstürzen nach. Und widmet den vielen vertrauten Leinwandgesichtern und den großen Künstlern hinter der Kamera seine ganze Aufmerksamkeit.

Beim Lesen des Textes über Michael Gwisdek sehe ich ihn sofort wieder vor mir, den Erzkomödianten, der jeden Auftritt anekdotenreif nutzt, um seinen Charme, seinen Witz, seine Lebendigkeit zu versprühen. Knut Elstermann hat versucht, seinen Auftritt im Filmmuseum 2017 festzuhalten: die halbfertigen Sätze, die Andeutungen und Gesten, das absichtsvolle Verirren. Kein Wort möchte man missen von diesem Revolverhelden mit großem Herz, der vergangenes Jahr starb. Amüsant allein die Erinnerung an die Proben zu seinem Macbeth an der Volksbühne mit der Schauspielschülerin Corinna Harfouch als Lady Macbeth. „Alle waren scharf auf Corinna. Heiner Müller, Dieter Montag war scharf auf Corinna, Uli Mühe war scharf auf Corinna. Und ich stand nur auf der Bühne und beobachtete, wie das läuft mit der Harfouch, weil ich wollte sie auch.“ Wir wissen, dass er sie bekommen hat, so wie viele tolle Rollen.  (he)

 

 

 

 

„Im Gespräch. Knut Elstermann befragt Ostdeutsche Filmstars“, erschienen im be.bra Verlag, 24 Euro

 

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