Das wäre mir im Ost-Minsk nicht passiert. Bevor ich in die Höhen der Kunst aufsteige, möchte ich mich erstmal erleichtern. Also hinein ins stille Örtchen. Doch welche Tür ist die Richtige? Nicht irgendeine weibliche bzw. männliche Figur weist den Weg. Nur ein stilisiertes Klobecken ist zu sehen. Ah, an der anderen Tür ist noch ein weiteres Zeichen angebracht: wohl für das Pissoir?! Doch das erkennen nur wenige. Gerade schleicht wieder eine Frau verschämt aus der falschen Tür. So kommt man indes gleich erheitert ins Gespräch: Und auf Kommunikation setzt ja das neue alte Haus am Brauhausberg. Über diese Wiederauferstehung gibt es indes nix zu meckern, nicht einmal mein pingeliger Bauleiter-Gatte findet ein Haar in der Suppe. „Da hat sich der Plattner gute Leute rangeholt“, so sein pragmatisches Lob.
Während er Fugen und Kanten bewundert, tauche ich in die gemalte Welt von Wolfgang Mattheuer ein: melancholische Nachthimmel, vermeintliche Schrebergartenidyllen hinter spitzen Zaunlatten, nach Freiheit schreiende Datschenbesitzer, getarnt als Ikarusse. Plattner hat eine beachtliche Sammlung des Leipziger Künstlers zusammengetragen, und es ist eine Freude, sie nun an diesem feinen kleinen Museumsort versammelt zu sehen.
Doch natürlich suche ich auch nach Spuren vom alten Minsk, die außer in dem herrschaftlichen Treppenaufgang und dem fein gefliesten Tresen im Inneren kaum zu finden sind. Ich weiß nur noch genau, wo der Tisch mit Fensterblick stand, an dem wir am 8. 8. 1988 gesessen hatten, um unseren 8. Hochzeitstag zu feiern. Natürlich lange im Voraus vorbestellt. Der große Festtagsschmaus mit Steak au four erwies sich indes als Reinfall. Die vielgepriesene Gourmetküche hatte offensichtlich gerade einen schlechten Tag, und so gab ich freundlich, aber bestimmt – und etwas aufgeregt – mein angesäuertes Fleisch zurück. Immerhin erntete ich kein Muffeln, sondern ein frisches Stück Schweinekamm! Damals aß man Schwein noch ohne schlechtes Gewissen.
Doch die Erinnerungen ließ ich alsbald fallen, widmete mich stattdessen den Fotos des kanadischen Künstlers Stan Douglas (Jahrgang 1960) mit seinen „Potsdamer Schrebergärten“. Was interessiert einen Kanadier gerade an die piefige Welt der Laubenpiper? Die Bilder von 1994/95 zeigen es. Rückzugsorte, die durchaus eine Seele haben, sich reiben an der großen Welt. Und Spuren der Vergangenheit konservieren, wie „Trabant neben ,Im Grund‘ Am Pfingstberg“, „Verlassene Laube, Berliner Straße 105″ oder „Kompost neben der Mauer“ auf der Halbinsel Medehorn Sacrow. Dazu ist über Lautsprecher leise eine Stimme zu hören, die ich fast ausblende. Doch das geht nicht allen Besuchern so. „Unverschämt, in englischer Sprache das Band laufen zu lassen.“, schrieb genervt „H.P.“ – wollte er die Stimme Hasso Plattners sein? – ins Gästebuch.
Die meisten sind wohlwollender in ihren Kommentaren, aber durchaus kritisch. Eine 87-jährige Besucherin wünscht sich unbedingt Sitzmöglichkeiten in den Ausstellungsräumen, und A.J. schreibt: „Tolles Museum, toll saniert. Aber warum sind alle Flächen um das Gebäude versiegelt? Überall Beton … Schade.“ Noch findet auf der einzigen freien Stelle neben dem Minsk ein Fuchs Platz für seinen Bau. Aber bald wird es auch dort Beton geben. Und der Blick vom Balkon stimmt natürlich nachdenklich. Inzwischen schaut man sich schon fast den Bahnhof schön, weil das blu noch hässlicher ist. Derweil wird angestrengt über Kosmetik nachdacht, wie das verpfuschte Antlitz aufgehübscht werden kann. Über das neue „Minsk“ darf man sich indes uneingeschränkt freuen. Auch wenn der äußere Erhalt dieser Ostmoderne den Abriss der Fachhochschule nicht wett machen kann.
Noch ein Bonmot zum Schluss: An der Verkaufstheke fürs Merchandise gibt es eine blecherne Brotbüchse Made in GDR zu kaufen. Für 35 Euro! he