Wie bleibe ich Mensch in unmenschlichen Zeiten? Szczepan Twardoch stellt seinen Roman „Das schwarze Königreich“ im Kunstraum vor

Wie wird ein Mensch zu dem, was er ist? Wird er Opfer oder Henker, Gefallener oder Retter? Ist er fähig, seine Würde zu bewahren, wenn der Tod allgegenwärtig ist? Der polnische Autor Szczepan Twardoch (Jahrgang 1979), der am Freitag im Kunstraum Potsdam zu Gast ist, zeichnet in wenigen Strichen ein Kaleidoskop von Biografien, die auch die dunkelsten Abgründe kraftvoll ausleuchten. In seinem rasant geschriebenen Roman „Das schwarze Königreich“ erzählt er über den Krieg, über Warschau nach dem deutschen Angriff 1939. Er stellt sie in ein gleißendes Licht: die Nachtungeheuer, die Überlebenden, beleuchtet, warum sie saufen, huren, schlagen – und auch schießen. Oder sich verwehren.Wir lernen Jakub und Ryfka kennen, die sich wie Ratten von schimmligen Brotkrumen ernähren. Unter den Trümmern der „zerrissenen Innereien des ermordeten Gebäudes, in das beim polnischen Aufstand eine Mörsergranate eingeschlagen ist“, vegetieren sie dahin. In dieser ausgebrannten leeren Stadt, in diesem Skelett, klammern sie sich aneinander. Sie können sich weder mit den Aufständischen noch mit den Zivilisten verbünden. „Wir sehen beide aus, als hätte jemand uns mit roter Farbe das Wort JUDE auf die Stirn gemalt“, sagt Ryfka, die trotz allem froh ist, für den schwerkranken Jakub sorgen zu können. Schließlich leben sie: im Gegensatz zu den vierhunderttausend Jüdinnen und Juden aus dem Ghetto. Ryfka, die sich prostituieren musste, hat ihren Jakub, diesen Bösewicht, sie hat Wasser, sie hat ein sicheres Versteck vor den Deutschen. Und sie weiß, wozu Menschen fähig sind.

Immer wieder muss man beim Lesen inne halten. Szczepan Twardoch, der preisgekrönte Autor des Bestsellers „Der Boxer“, erzählt im flotten Schwung, fast wie nebenbei, von den gruseligsten Ereignissen. In eisiger Klarheit, ohne Zugeständnisse beschreibt er minutiös, wie ein deutscher Soldat der jüdischen Frau im kornblumenblauen Kleid das Herz durchschießt, wie sie wie die vielen anderen neben ihr in den ausgehobenen Graben fällt. Oder mit welchen Handgriffen ein Ukrainer Goldzähne aus jüdischem Zahnfleisch reißt.

Ständig wechseln die Perspektiven der Erinnerungen. Neben Ryfka, die trotz allem Jakub Shapiro, den früheren Unterweltkönig der Stadt, in ihr Herz geschlossen hat, empfindet David nur Hass auf seinen Vater. Der halbwüchsige Sohn kennt alle Arten des Bösen, die man im Menschen finden kann. „Aber mein Vater ist der Allerschlimmste“, sagt David über diesen einst glorreichen Jakub, der einmal Boxer gewesen ist, und schließlich nach einem aussichtlosen Kampf Veteran zweier Kriege wurde. Und nach einem unverzeihlichen Fehler von Frau und Söhnen verlassen wird. So ist es bald der halbwüchsige David, der durch Schmuggel und Schwarzhandel versucht, das Leben seiner Mutter und des Bruders zu sichern. Unter Todesgefahr und doch auch in einem Rausch von Jugend und Freiheit. Aber schließlich bleibt nur der Schmerz, der Gedanke an Rache, an den Deutschen, an allen.

Neben der nach allen Seiten beleuchteten Frage nach Anstand und Gewissen in einer Welt, in der der Anstand auf der Strecke geblieben ist, geht es auch immer um die Frage des Jüdisch-seins. Jakub versuchte zeitlebens der bessere Pole, der bessere Patriot zu sein. Um am Ende in den Augen der Polen zu sehen, dass er kein Mensch mehr ist, sondern nur noch ein Jude. Ein gewesener Mensch, ein lebender Leichnam.

„Das schwarze Königreich“ ist ein Roman von großer Wucht und aufrüttelnder Erzählkraft. Er pendelt mit gedanklichen Widerhaken zwischen der Zeit. „Das was war, hört nicht auf, und das was sein wird, ist bereits, alles existiert zur gleichen Zeit“, schreibt Twardoch. (he)

Die Lesung und das Gespräch finden am Freitag, den 18. September, um 20 Uhr im Kunstraum, Schiffbauergasse, statt. Es übersetzt Dorota Bastos. Der Schauspieler René Schwittay vom Hans Otto Theater liest. Karten kosten 10 Euro und gibt es hier.

Das Buch ist im Rowohlt Verlag Berlin erschienen und kostet 24 Euro.

Es ist eine Veranstaltung vom Waschhaus Potsdam und Literaturladen Wist.

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