Für intensive Lesestunden: Grit Poppes Stasi-Jugenddrama „Verraten“ und Alexander Kühnes Nachwenderoman „Kummer im Westen“

Meine Ausgehwunschliste für den November war lang: Aufführungen von Unidram, Maria Stuart im Hans Otto Theater, ein Konzert der KAP im Schlosstheater …. Aus all den erwartungsfrohen Ereignissen wird nun nichts. Gestrichen. Verschoben. Das tut weh. Zum Glück konnte ich noch Karten für das verstörend großartige Kammerspiel „Schwesterlein“ mit Lars Eidinger und Nina Hoss im Thalia erwischen. Dass es wirklich Sinn macht, die bestens präparierten, coronakonformen Einrichtungen zu schließen, wage ich zu bezweifeln. Aber die steigenden Krankheitszahlen beunruhigen natürlich auch mich. Nun also hat die Literatur wieder die Kulturhoheit. Die Freude am Lesen auf der Couch kann mir auch kein Virus verderben. Also erzähle ich hier etwas über meine zwei letzten Bücher, die ich gerade ausgelesen und empfehlen kann: das aufwühlende Stasi-Jugenddrama „Verraten“ von der Potsdamer Schriftstellerin Grit Poppe und die bitter-fröhliche Nachwendegeschichte „Kummer in Westen“ von dem brandenburgischen Autor Alexander Kühne. Der wollte am 11. November seine unterhaltsame Lektüre selbst vorstellen: bei einer Lesung im Waschhaus. Die wurde nun auf Februar 2021 verlegt. Aber es lohnt sich auch zu Hause, seinem eingängig heiteren, atmosphärisch dichten Sound zu lauschen – und sich an den eigenen November vor 31 Jahren zu erinnern.

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Schillernd und federleicht: Joseph Roths „Legende vom Heiligen Trinker“ bis Sonntag in der fabrik

Die Schauspieler und vor allem die Zuschauer haben Glück. Noch auf den letzten Metern können sie sich an Joseph Roths Legende vom Heiligen Trinker erfreuen. Die in Werder beheimatete Wandertruppe Ton und Kirschen zeigt vor coronakonformen Sitzreihen noch bis Sonntag in der fabrik ihre heiter-luftige Inszenierung um den Pariser Clochard Andreas, bevor sich die Kunst wieder einigeln muss.

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Das Wunder in uns selbst. 150 Kilometer auf dem Jakobsweg: mit wunden Füßen und Nachrichtenfasten

Der Fuß wirft Blasen, die Oberschenkel sind hart wie Beton, der Rücken droht auseinanderzubrechen: Und noch immer ist der Kirchturm nicht in Sicht. Der Regen hat uns auf offenem Feld eingeholt, der Himmel droht mit unheilvollem Donnergrollen. Wenn es jetzt auch noch blitzt, müssen wir uns in die Feldfurche kauern. Doch plötzlich hat der Wettergott ein Einsehen mit uns arme Pilgerseelen und stimmt heitere Töne an. Die dunklen Wolken lösen sich auf, wir schlurfen mit pitschenassen Wanderschuhen, die eigentlich nach Herstellerangaben regenfest sind, weiter durch das Rhinluch. Sechs Tage durchqueren wir auf dem Jakobsweg das Havelland. An der Bushaltestelle Kirche Bötzow setzen wir Montag früh ein, an der Wunderblutkirche Bad Wilsnack verlassen wir nach 158 Kilometern wieder den historischen Pfad. Die innere Stimme jauchzt, fühlt sich jung und stark. Ja, wir haben es geschafft: trotz nicht versiegender Schmerzwellen, Regen allerorten, Unterkünften, die nicht immer halten, was sie telefonisch versprechen. Auch das gehört zu dieser so besonderen Auszeit: sich überwinden, Widrigkeiten trotzen, nicht aufgeben.→ weiterlesen

Wenn die Propagandamaschine läuft. „Von Luther zu Twitter“ im Deutschen Historischen Museum Berlin

Wie aus einer Bilderfabrik wirkt die Respekt gebietende Fülle von Luther-Porträts. Sie stammen von verschiedenen Künstlern und sind auf einer Wand in der Sonderausstellung „Von Luther zu Twitter“ im Deutschen Historischen Museum Berlin vereint. Anhand von rund 200 Objekten aus Deutschland, Österreich, Spanien, Großbritannien und China wollen die Kuratoren Melanie Lyon und Harald Welzer die wechselnden Möglichkeiten politischer Information, der Propaganda sowie der Manipulation sichtbar machen.→ weiterlesen