Zwei Kochbücher – eine ganze Welt. Lieblingsgerichte aus dem Kuddelmuddel der Kulturen

Sammeln Sie auch Rezepte? Ich reiße und schneide immer wieder welche aus irgendeiner Zeitschrift heraus, freue mich über Tipps von Freunden oder lasse mich von Hobbyköchen aus dem Internet inspirieren. Seit ein paar Monaten speichere ich meine Lieblingsrezepte sogar in einer App. Meine Kinder halten mich technisch auf Trab. Und nicht nur das. Ihre strikte Haltung zum Tierwohl hat auch mein Essenverhalten stark verändert. Wenn ich Fleisch kaufe, dann nur noch mit einer 4 auf der Verpackungsampel. Das hat seinen Preis und reduziert von ganz allein den Fleischkonsum.

Vor mir liegen nun zwei gerade erschienene Kochbücher, die ich näher unter die Lupe nehme. Da die Restaurants wieder geschlossen sind, müssen wir uns eben selber überraschen. Denn: „anyone can cook“ – jeder kann kochen. Das jedenfalls behaupten die jungen Kreativen der Kochplattform „kitchen stories“, die zusätzlich zu ihrer App mit einem richtigen Kochbuch fürs Regal auftrumpfen, „durch dessen Rezepte man sich blättert, vor und zurück, und in dem man Favoriten mit Eselsohren versieht“. Bei ihnen dreht sich alles ums Abendessen: mit möglichst wenig Zutaten und ohne großen Zeitaufwand. Und dennoch schmackhaft und einfallsreich, oft auch vegetarisch und vegan. Daneben mutet das Büchlein „Die besten Rezepte aus Brandenburg“ geradezu bieder an. Aber auch hier gibt es im Kladderadatsch der regionalen Vielfalt Leckeres aus Topf und Pfanne.

Gesammelt, ausprobiert und aufgeschrieben wurden die Brandenburger Rezepte von Küchenmeister Torsten Kleinschmidt, dessen Credo es ist: „Kochen heißt Geschichten erzählen“. Und kleine Geschichten flicht er auch wie Kräutersträuße zwischen den gesammelten Rezepten aus der Prignitz bis zum Spreewald, zwischen Gefüllte Knusperschnitzel und Linsenbouletten-Schrippen mit Dip. Sein Lieblingsessen ist indes Kartoffeln, Kräuterquark und Lausitzer Leinöl – Hausmannskost vom Feinsten. Und noch schneller zubereitet als die Rezepte von kitchen stories.

Traditionell ist die brandenburgische Küche schlicht und rustikal, die mehr Wert auf deftigen Geschmack und Sättigung legt als auf Verfeinerung. Schweinefleisch, Geflügel und Fisch sowie Kohl und Rüben kamen zuvorderst auf den Tisch. Und nach dem „Kartoffelbefehl“ vom Alten Fritz 1756 auch die von Südamerika nach Europa verschifften Erdäpfel. Doch Friedrichs Untertanen verschmähten das exotische Gewächs, das die Inkas schon vor 2000 Jahren anbauten. Der Preußenkönig brach trickreich ihren Widerstand. Er ließ Kartoffelfelder anlegen und sie von seinen Soldaten bewachen. Wenn der König sogar Soldaten zur Bewachung aufstellte, dann musste die Kartoffel wohl doch wertvoll sein. Also wollten die Bauern plötzlich den Fremdling in der eigenen Küche haben.

Nur noch wenige Wochen bis Silvester: Hier eine Anregung zum traditionellen Karpfen

Auch durch die vielen Glaubensflüchtlinge im 17. und 18. Jahrhundert erweiterte sich das bekannte Repertoire. Spargel, Blumenkohl oder Blattsalat stimmten im Küchenkanon ein. „Brandenburger Küche ist Europa en miniature“, schreibt Kleinschmidt und nimmt uns mit auf den Kreuzzug der kulinarischen Migration. Hier frohlocken nun Knieperkohl und Quappenfilet, Pfannenspargel und süße Plinsen, Wruckeneintopf und Mohnpielen. Es gibt nicht DAS typische Gericht, aber durchaus Vielfalt, die zum Nachkochen inspiriert. Ich werde jedenfalls demnächst mal wieder die Hochzeitssuppe kochen: aus meiner Uckermärker Heimat. Die macht zwar viel Arbeit, ist aber ausgesprochen lecker. Und das Teltower Rübchen-Birnen-Ragout probiere ich auch mal aus, schließlich ließ sich schon Goethe von seinem Berliner Musikus-Freund, Carl Friedrich Zelter, viele Jahre hinweg die Rübchen nach Weimar schicken. „… zu unserer Danknehmigkeit sind die köstlichen Rübchen angelangt; sie behaupten auch diesmal ihre alten Tugenden“, erfreute sich der Dichterfürst über diese Delikatesse der einfachen Leute. Und sie passt auch bestens ins heutige Zeitalter der voranschreitenden Vegatarier- und Verganerbewegung.

Bei kitchen stories fehlt dieses Rübchen noch. Aber auch hier regiert die Geschmacksoffensive einer offenen Welt: mit Bonitoflocken, Pestos, Gremolata, Chimichurri und frischen Chilis. Ein Koch-Crashkurs nimmt jede Angst vors Blanchieren oder Sautieren. Hier wird geschnippelt und geschmort – im Einmaleins der Kocheleven. Mein Buch hat jedenfalls schon Eselsohren: der Rosenkohl aus dem Ofen mit Sojasoße und Reis, die 16 Pesto-Ideen für jeden Geschmack oder das Pilz-Stroganoff mit knusprigem Kartoffelrösti. Aber auch die Fleischbällchen mit Kartoffel-Meerrettich-Püree schauen mich verlockend an. Natürlich mit Meerrettich aus dem Spreewald. Jeder kann kochen: Mit diesem Buch garantiert!  (he)

anyone can cook – Unsere liebsten Gerichte für jeden Tag – von der kitchen-story-App-Gemeinschaft aufgeschrieben, ist im Penguin Verlag erschienen und kostet 26 Euro.

Die besten Rezepte aus Brandenburg“ ist im BuchVerlag für die Frau erschienen und kostet 9,95 Euro

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