Die Fantasie führte Regie: „Rembrandts Orient“ im Museum Barberini

Auf altmeisterlichem Grün sprechen sie von den Wänden: die alten Männer mit ihren silberdurchzogenen Rauschebärten. Unter ihren goldschimmernden Turbanen schauen sie nachdenklich mit verschattetem Gesicht auf die Besucher des Museums Barberini. Diese Porträts sind Magier von unaufdringlicher Zauberkraft, feinkomponierte Gestalten aus der Werkstatt Rembrandts, deren Sog man sich nicht entziehen kann.

Lebensnah und zugeich verfremdet: Rembrandts „Brustbild eines bärtigen alten Mannes in orientalischem Kostüm“. Foto: Jä

Ab morgen sind sie in Potsdam und werden sich eines riesigen Ansturms erwehren müssen. Nur rund 660 Besucher – also rund ein Drittel der Vor-Corona-Zahl – dürfen täglich in die verschobene und jetzt endlich eröffnete Ausstellung, die bis Juni hängt. Tickets sind also genauso rar wie Impfstoff. Ein täglicher Blick auf die Internetseite lohnt indes: drei Tage im Voraus sind dort die Karten buchbar. Um sich schon mal warm zu machen für das reale Erleben, wird es demnächst eine 360-Grad-Ausstellung zum digitale Erkunden geben (mit Zoom-Funktion, um bis ins kleinste Detail vorzudringen).

Eingeladen wird zu einer Reise in ferne Länder, genau das, wovon auch wir seit Monaten träumen. Im Barberini sehen wir, wie sich Rembrandt und seine Zeitgenossen den „Orient“ ausmalten, auf ihren Reisen der Fantasie. Durch die Ausweitung des Handels auf alle Kontinente kamen bislang unbekannte Schätze auf den heimischen Markt: wertvolle Seide, kostbare Teppiche, feines Porzellan, Gewürznelken, Muskatnüsse. Um 1650 gab es in den Niederlanden wohl kaum einen Haushalt ohne einen Hauch von Exotik. Jeder wollte sich mit dem Fremden schmücken. Selbst Gürteltiere, Federn, Hörner und lebende Papageien fanden ihre Liebhaber. Meist blieb es aber beim Sammeln der reizvollen Stücke, eine Auseinandersetzung mit dem Fremden blieb oberflächlich. Sklaverei, Ausbeutung, Handelskriege wurden nicht thematisiert. Es ging allein um die Faszination des Exotischen, des nie Gesehenen. Nur wenige kannten den Orient aus eigener Anschau.

Auch Rembrandt hat seine Heimat nie verlassen, vielleicht aber begegnete er persischen Kaufleuten auf den Märkten von Amsterdam. „Die Ausstellung versetzt uns an den Beginn der Globalisierung, an den Beginn eines neuen Weltbewusstseins“, sagte Ortrud Westheider beim Pressegespräch.

Rembrandts „Selbstbildnis mit Säbel“, Radierung, mit Spuren von Grabstichel Foto: Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett

Rembrandt stellte sich sogar selbst als „Orientalen“ dar. In der Ausstellung sehen wir ihn auf einer Radierung mit herausforderndem, fast grimmigem Blick: die wilden Locken von einem Turban dressiert, den Säbel gezogen. Selbstironie, Herrschaftsfantasien, ein Wunschbild? Oder malte er sich den Frust auf einen Auftraggeber von der Seele? Rembrandt setzte sich aber nicht nur orientalisch in Szene, er beschäftigte sich auch mit den originalen Kunstwerken, was kaum einen anderen seiner Kollegen interessierte. So fertigte er 25 Zeichnungen als Kopien von kostbaren farbenprächtigen Miniaturzeichnungen aus Indien an. Auch von diesen schwarzen oder bräunlichen Nachahmungen in Tusche ist eine in Potsdam zu sehen. Neben den zahlreichen Porträts ist der Orient als Schauplatz des biblischen Geschehens zu sehen. Inmitten von graubraunen Felsen sitzen Männer und Frauen mit Turbanen und prächtigen Kostümen. Rembrandt zeigt Abraham und seinen Sohn Isaak, den er opfern soll, Christus und die reumütige Ehebrecherin oder die Beschneidung Christi.

Die Braut im Spotlight: Rembrandts „Simson, an der Hochzeitstafel das Rätsel aufgebend“ Foto: bpk/Staatliche Kunstsammlungen Dresden / Elke Estel / Hans-Peter Klut

Besonders stolz ist das Museum Barberini auf die Leihgabe von der Gemäldegalerie Alter Meister aus Dresden: „Simson, an der Hochzeitstafel das Rätsel aufgebend“, die die Braut im hellen Licht zeigt. Eine selten dargestellte Episode aus dem Leben des jüdischen Helden Simson, die bei Rembrandt einer Theateraufführung gleicht. Die Geschichte dreht sich um Verrat und Rache, hier in prunkenden Gewändern.

„Es geht in dieser Ausstellung nicht um unser Bild des Orients, sondern wie Rembrandt darauf blickte, ein Bild von Stereotypen und Klischees, fernab von Authentizität“, sagte Kurator Michael Philipp in der Pressekonferenz. Doch trotz ihrer orientalischen Kostümierung schafft Rembrandt mit seinen Figuren blutvolle Charaktere, die noch heute zu uns sprechen, auch wenn wir nicht bibelfest sind und alle Mythen kennen. (he)

Insgesamt sind 110 Werke von 18 Künstlern zu sehen, darunter 33 Arbeiten von Rembrandt. „Rembrandts Orient“ läuft bis zum 27. Juni, täglich außer Dienstag von 10 bis 19 Uhr, jeden ersten Donnerstag im Monat bis 21 Uhr, Tickets gibt es online.

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